Die Dinge stehen schlecht. Ungefähr zwei Wochen vor der Tour Anfang September wurden die Meldungen hinsichtlich der Bedingungen am Dachstein in Österreich und speziell rund um den Schulterklettersteig, über den wir auf den 2997 Meter hohen Gipfel gelangen wollten, schlechter. Viel schlechter. Ganz übel.
War zunächst noch die Rede davon, dass der Gletscher im Bereich der Randkluft nicht mehr so wirklich stabil aussähe, verdichteten sich bis zur Abfahrt die Gerüchte, das Eis sei komplett zusammengebrochen. Die Randkluft bzw. was davon übrig ist, könne man nur mit Gletscherausrüstung bewältigen und der Weg zum Ein- und Aufstieg sowie zum inzwischen 20 Meter höhergelegenen Klettersteigseil nur noch mit Kletterausrüstung zu erreichen. Oder natürlich mit Bergführer, naja gut… Derweil trudelten per E-Mail die letzten Direktiven ein, doch was hier noch halbwegs im Imperativ geschrieben stand, war in der Realität bereits klar: Der Aufstieg auf den Dachstein würde für uns definitiv nicht Bestandteil der Tour werden.
Mit dieser Aussicht trafen wir am Freitag in Ramsau am Parkplatz des Feistererhofs ein. Um Eins marschierten wir von hier die 10 Minuten zur Haltestelle, von wo uns der Bus zur Talstation der Dachstein Südwandbahn brachte. Wir nahmen jedoch an diesem Tag nicht die Seilbahn, sondern stiegen die paar Höhenmeter zur Dachstein Südwandhütte zu Fuß auf.
In der proppenvollen Hütte wurden wir im Matratzenlager einquartiert, breiteten uns dort aus und ließen den Rest des Tages die Flügel hängen. In der Zeit bis zum Abendessen freundeten wir uns mit dem reichhaltigen Speisen- und Getränkeangebot an, was sich, zumindest was ersteres anbelangt, als unnötig herausstellen sollte, da das Abendessen von unbegrenztem Nachschlag gekennzeichnet war.
Der Samstag sah uns zeitig beim Frühstück, denn große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Zunächst stand der Abstieg zur Talstation der Südwandbahn an, mit welcher wir sodann hinauffuhren aufs Dachsteinplateau. Großer Bahnhof dort, die kommerzielle Orientierung hier oben ist schwerlich zu ignorieren. Wie eingangs schon erwähnt, würde unser Plan, den Hohen Dachstein übern Schultersteig zu erklimmen, keine Umsetzung finden können, da wir keine Bergsteiger- und erst recht keine Gletscherausrüstung im Handgepäck führten. Dennoch benötigten wir nicht einmal die mitgebrachten Grödel, denn, der bereits erwähnten kommerziellen Orientierung wegen, sind die gängigen Wege über den Schladminger und Hallstätter Gletscher, also zur Seethalerhütte oder zu unserem neuen Ziel, den Niederen und Hohen Gjaidstein, wie im Winter als ungefährliche Pistenwege präpariert.
Dementsprechend flott ist das Eis überquert und wir finden uns am Einstieg zu den Gjaidgipfeln beim Anlegen der Gurte und Klettersteigsets wieder. Der Klettersteig hat die Schwierigkeitsklassifizierung A/B, liegt also eher am unteren Skalenende, daher, und weil er nicht ausgesetzt ist, dauert das Anlegen fast länger, als wir die Klettersteigausrüstung dann auch tatsächlich nutzen. Im Prinzip ist der Aufstieg auf den knapp 2800 Meter hohen Gjaidstein, der eigentlich nur ein glatzköpfiger Pickel im Dachsteinmeer ist, halbwegs vergleichbar mit einer Kammwanderung. Hier und da ist ein Seil gelegt und man kann sich daran sichern – oder auch nicht. Vielmehr konnte man an vielen Stellen auf einem Pfad und ohne den Felsen an den Händen außen herum laufen.
Auf gleicher Route zurück und nur kurz vor dem Gletscher bogen wir dann nach Südosten ab, um den Riegel von Großem Koppenkar- und Landfriedstein Richtung Feisterscharte zu umrunden. Das Unterfangen stellte sich zunächst als elend langer Abstieg über Fels- und Geröllbrocken heraus, eher ein Hupfen und Hatschen von Stein zu Stein, derweil die Stöcke, so man welche nutzen wollte (eher zu nutzen versuchte), sich tüchtig ihren Weg selbst suchten und dabei andauernd in irgendwelchen Felszwischenräumen steckenblieben, was einem gleichmäßigen, rhythmischen Vorankommen durchaus abträglich ist.
Erst hinterm Landfriedstein, wo man an einer Abzweigung vor die Wahl gestellt wurde, entweder über die Gruber- oder die Feisterscharte zum Guttenberghaus – unserem heutigen Ziel – zu gelangen, verdient der Weg den Namen wieder und wir erreichen gegen Vier am Nachmittag die Hütte. Bei Kaffee, Radler und Skiwasser besprechen wir unsere Pläne für Sonntag. Da rund um unsere Unterkunft viele Klettersteige in kurzer Zeit zu erreichen sind, legten wir uns zunächst auf zwei Ziele fest. Während eine Gruppe übern Jubiläumssteig (nicht mit gleichnamigem Grat zwischen Zug- und Alpspitze zu verwechseln!) auf den Eselstein steigen wollte, ist eine zweite Abordnung über den etwas leichteren Eselstein Westgrat aufgestiegen. Wie sich am besagten Sonntag dann herausstellen sollte, trafen sich rein zufällig beide Gruppen am Gipfel zu Gipfelschnaps und Gruppenfoto wieder.
Der Abstieg erfolgte dann aber wieder getrennt, einmal übern Westwand-Klettersteig und die Gruberscharte, die Jubiläumssteigler nahmen den Weg über die Feisterscharte zurück. Da wir auch in der Hütte gleichzeitig zum Mittagessen eintrafen, entschieden wir uns, am Nachmittag noch den Sinabell-Klettersteig zu rocken, der der Hütte mit rund 10 Minuten Zustieg am nächsten liegt. Zügig brachen wir auf, um die 250 Kletterhöhenmeter in Angriff zu nehmen. Als alle am Gipfel angekommen waren – obwohl gleiche Schwierigkeitsangabe wie der Jubiläumssteig am Morgen, war der Sinabell-KS übereinstimmenden Aussagen zufolge etwas deftiger, wodurch sich ‚das Feld‘ etwas auseinanderzog – gab‘s erneut Schnaps und Gruppenbilder, ehe wir, erneut über die Feisterscharte zum Guttenberghaus hinab- und zurückwanderten.
Damit ging auch der letzte volle Tag unserer Tour allmählich zu Ende, während wir aufs Abendessen wartend in der Gaststube beinandersaßen und die Pläne für den Abstieg am Montag besprachen. Auch hier bildeten sich schnell wieder zwei Gruppen: die Eiligen, die gleich in der Früh die Direttissima zum Feistererhof nehmen wollten, und die ‚Langstreckler‘, die noch einen Abstecher und Umweg übers Hölltal zum Silberkarsee planten, um von dort dann zum Feistererparkplatz abzusteigen. So gingen unsere insgesamt knapp vier Tage dann auch viel zu schnell vorbei und ehe wir uns versahen, fanden wir uns bei den Autos wieder.