Grandiose Ausblicke und beklemmende Einblicke, chaotische Erdgeschichte und blutigeWeltgeschichte, zahme Graskämme und wilde Felsgrate: intensiv und gegensätzlich sind die Eindrücke auf dem Karnischen Höhenweg.
Einen Höhenweg der besonderen Art durften wir im August 2022 beschreiten.
Der Karnische Höhenweg ist einer der schönsten Höhenwege der Ostalpen, wenn nicht gar der schönste.
Die Besonderheit zeigt sich nicht nur in der Berglandschaft, sondern auch in der Geschichtsträchtigkeit. Die Karnischen Alpen bilden die Grenze zwischen Österreich und Italien. Diese Grenze wurde in den Jahren 1914-1918 stark umkämpft. Die Spuren des Krieges sind auch heute noch allgegenwärtig und bringen einen zum Nachdenken.
Wir starten die Tour bei der Leckfeldalm 1900m über Sillian, zu der eine Forststraße führt. Die ersten 800 Hm sind mit dem Auto geschafft, und die nächsten 550 Hm müssen mit eigener Kraft bewältigt werden. Bei der Sillianer Hütte 2450 m sollte uns ein herrliches Panorama über die Sextener Dolomiten mit den 3 Zinnen erwarten. Leider sind wir zu früh dran und „die Vorstellung“ hat noch nicht begonnen. Ein Nebelvorhang verdeckt die Bergkulisse. Ohne große Pause folgen wir nun dem Weg 403, dem Karnischen Höhenweg (auch Friedensweg), der uns die nächsten Tage begleiten soll.
Geisterhaft tauchen vier schlichte Kreuze im Nebel auf, umgeben von einer festen Mauer aus Stein. Sanft spielen die Wellen am Ufer des Hochgräntensees, den wir erst entdecken, als wir fast hineinfallen.
Dichter Nieselregen verhüllt den Blick hinüber zu den Sextener Dolomiten – die schöne Kulisse ist ausgeblendet. Vielleicht soll es so sein, vielleicht versagt das versprochene Zwischenhoch so kläglich, damit wir vom schönen Wetter nicht abgelenkt werden. Damit wir spüren lernen, dass der Karnische Höhenweg zwar einerseits eine in jeder Hinsicht grandiose Bergwanderung ist, dass er jedoch andererseits auf geschichtsträchtigem, blutgetränktem Boden verläuft. 1915 bis 1918 verlief die Grenze zwischen Italien und Österreich-Ungarn hier direkt auf dem Karnischen Hauptkamm.
Das Wetter bleibt trüb und die Sicht ist schlecht. Der Weg am Hauptkamm ist aber nicht zu verfehlen. Bei jeder Erhöhung vermuten wir einen Gipfel und belohnen uns mit einem Gipfelschnaps. Trost muss ja sein.
Immer wieder stoßen wir auf die Grenzsteine zwischen Österreich und Italien und befinden uns mal diesseits und mal jenseits der Grenze. Auch die geschichtlichen Überreste sind immer wieder zu sehen.
Plötzlich tut sich auch am Himmel was. Kleine blaue Fetzen sind zu sehen, und der Blick reicht immer weiter.
Am höchsten Punkt dieser Etappe, am Eisenreich 2665 m, sehen wir unser heutiges Etappenziel und auch den Weiterweg der kommenden Tage.
Auf der Obstansersee-Hütte 2304 m können wir weder im See baden, noch Boot fahren. Dafür ist das Wetter noch nicht geeignet. Wir haben einen schönen Abend und eine geruhsame Nacht.
Die kommenden Tage beginnen alle recht früh, da die Etappen immer länger werden.
Gleich in der Früh steht der erste Gipfelanstieg zur Pfannspitze 2678 m an. Das Wetter ist noch bewölkt, aber die Sicht ist gut. Die Sextener Dolomiten zeigen sich in ihrer ganzen Pracht, nur die 3 Zinnen bleiben versteckt. Auch den Weg am Hauptkamm können wir verfolgen.
„Da geht`s lang !!!“
Nächster Gipfel Gr.Kinigat 2689m. Hoch und beeindruckend das Europa-Gipfelkreuz mit der Gedenktafel mit der Inschrift „Nie wieder Krieg“,aktueller denn je. Eine weitere Gedenkstätte unter dem Gipfelstock lässt uns vor dem Abstieg innehalten.
Wieder braut sich am Himmel etwas zusammen und wir flüchten in die kleine Filmoor-Standschützenhütte 2350 m.
Mittagszeit, und eine Kleinigkeit zum Essen gibt`s auch. Bier als Selbstbedienung aus dem Trog.
Noch immer gibt es keine Materialseilbahn. Gut zwei Stunden hat der Hüttenwirt die Zutaten für unsere Suppe heraufgeschleppt, die wir ehrfurchtsvoll schlürfen.
Durch eine idyllische Moorlandschaft wandern wir weiter zum Oberen Stuckensee. Ein kurzer Aufstieg, eine Querung, und wir haben die Porzehütte 1942 m erreicht.
Morgen heißt es eine halbe Stunde früher aufstehen. Es geht auf die Königsetappe der Tour. 8-10 Stunden sind angesagt. Das Wetter sieht vielversprechend aus, und wenn wir gut in der Zeit sind, schaffen wir auch noch Gipfel extra.
Der Weg hoch zum Tillianer Joch mutet schon wie ein alter Karrenweg an. Oben dann die Gewissheit. Laut einem Hinweisschild verlief hier einst eine der Hauptversorgungsrouten im ersten Weltkrieg.
Am Bärenbadeck 2430 m genießen wir erstmal die Aussicht mit klarem Sonnenschein. Im weiteren Verlauf ist unschwieriges Genusswandern auf dem Kamm angesagt. Nur die Sonne und der Wind machen uns zu schaffen. Wo ist nochmal Schatten?
Das erste Gipfelkreuz ist der Reiterkarspitz 2421 m. Nur ein kleiner Abstecher vom Hauptweg.
Weiter geht es wieder am Kamm, bis es nach der Hochspitzsenke (2.314m) an Seilen gesichert knackig zum Hochspitz hoch geht. Mittagspause mit herrlicher Aussicht. Berge 360°, so weit das Auge reicht.
An der Steinkarspitze öffnet sich dann der weite Blick nach Westen. Unser Weg führt weiter nach Osten. Nach dem Luggauer-Törl 2232 m kommt die Entscheidung: Leicht oder Schwer? Wir entscheiden uns für letzteres, um von unseren schwer erkämpften Höhenmetern nichts einzubüßen. Nach einer Schuttmoräne, 2 bis 3 Wasserfällen erreichen wir das Hochweißsteinhaus 1868 m.
Der vorletzte Tag ist ein Abschnitt, vollkommen anders als die vorhergehenden. Kurz nach dem Anstieg zum Ofner Joch (Grenze zu Italien) geht es weit runter in die Waldgrenze. Wieder mal Bäume zu sehen ist eine erholsame Abwechslung.
Ein Höhenweg kann abwechslungsreicher nicht sein. Vorbei an Almen, verlassenen Häusern, Wald und Flur, über das eine und andere Jöchl, mit mehr oder weniger Weitblick führt der Weg auf italienischem Boden zurück nach Österreich (Kärnten). Am Giramondopass 1971 m sind wir wieder in Österreich, und hier beginnt der Abstieg zur Ob. Wolayeralm1709 m. Unter den Wolayer-Wänden, die mit dem Seekopf enden, führt der Weg durch eine mystische Landschaft. Diese erinnert uns an eine „Steinerne Stadt“.
Auf der Alm werden wir herzlich begrüßt und mit einem Kaiserschmarrn empfangen (es sei der beste in der Gegend). Ein Bier im Trog steht natürlich wieder bereit.
Das letzte Stück des Tages ist beschwerlich, da es sich mit vollem Magen und bei Hitze schlecht bergauf gehen lässt. Dafür wartet aber eine wohltuende Abkühlung im Wolayer See.
Der letzte Abend, auf der Wolayersee Hütte 1960 m, mit herrlichem Sonnenuntergang, Licht und Schattenspielen, sowie Spiegelbilder im See, lassen uns die Tour zum unvergesslichen Erlebnis werden.
Am nächsten Morgen ist der Himmel noch leicht bewölkt, trotzdem strahlen die weißen Felswände von Seekopf und Seewarte. Um dem Höhenweg einen gebührenden Abschluss zu geben, steuern wir den letzten Gipfel dieser Etappe an. Ein Abstecher zum Rauchkofel 2460 m, einem isolierten, dunklen Zuckerhut aus Schiefer, der umgeben von prächtigen weißen Wänden ist – mit am eindrucksvollsten sind die Flanken der Hohen Warte, des höchsten Gipfels des Karnischen Hauptkamms gegenüber. Richtung Osten blicken wir in das weite, von Felswänden beschützte Kar, durch das wir bald zur
Unteren Valentinalm 1205 m steigen werden, wo unser Friedensweg endet. Durch einen schmalen „Schlurf“ klettern wir runter zwischen leuchtend rotem, tiefgrünem und strahlend weißem Gestein hindurch ins Reich der Murmeltiere.
Wir denkenzurück an die vier Kreuze im Nebel und die tiefen Eindrücke, die diese graue Etappe damals hinterlassen hat. „Die Höhenwege sind auch Symbol für die Geschichte“,schrieb Walther Schaumann. „Zeiten der Gemeinsamkeit wurden immer wieder durch Streit und Krieg unterbrochen. Jetzt führen diese Wege in eine gemeinsame europäische Zukunft.“
Fazit: eine eindrucksvolle Hüttentour, der Karnische Höhenweg
Ich kenne bisher keinen vergleichbaren Höhenweg, der so stringent immer einem Grat folgt. Die Hüttentour bietet neben dem Bergerlebnis auch einiges Geschichtliches. Obwohl der Karnische Höhenweg recht bekannt ist, ist er im Verhältnis gar nicht so überlaufen. Das liegt vielleicht daran, dass im Norden Bergmassive wie der Großglockner, und im Süden die Dolomiten locken.
Alle Fotos: Detlev Antosch