Pfunderer was?
Als wir mit unserer Leitung Brigitte Jöhl über mögliche Vorschläge für eine mehrtägige Familienwanderung nachdachten, kamen uns spontan die Pfunderer Berge in den Sinn. Eine Gebirgsgruppe, die völlig zu Unrecht ein wenig untergeht, da sie von den mächtigen Zillertalern im Norden überragt wird. Zwischen Sterzing und Bruneck findet man jedoch alles, was Bergwanderer sich nur wünschen können, von wunderschönen Almhängen bis hin zu einer noch immer beeindruckenden Gletscherwelt, atemberaubenden Tief- und Weitblicken und eingestreut auch immer wieder einige technische Anforderungen, die gemeistert werden wollen.
Nachdem wir 2022 eine tolle 5-tägige Tour durch das Steinerne Meer miteinander erlebt hatten, stellte sich früh die Frage, wo soll es denn 2023 hingehen. Wie können wir erfahrene Tourengeher, Einsteiger und fast 60 Jahre Altersspanne miteinander verbinden? Meine Frau und ich hatten vor 30 Jahren eine vollständige Überschreitung des Pfunderer Höhenweges versucht und mussten wegen eines massiven Wettereinbruchs damals vorzeitig abbrechen. Aber die Faszination dieser Tour war immer noch in lebhafter Erinnerung. Brigitte nahm die Herausforderung an, aus unseren Berichten eine Rundtour zusammenzustellen, die Teile des Neveser und Pfunderer Höhenweges miteinander verband. Und, um es vorwegzunehmen, die Gruppe war am Ende der Tour von dem Gebiet und den vielfältigen, beeindruckenden Erlebnissen begeistert.
Als der Termin Anfang August näher rückte, gab es allerdings erst einmal nur ein Thema: das extrem nasse und kalte Wetter mit Schneefällen unter 1800 Metern. Ganze Arbeit für die Hobbymeteorologen unter uns, die wohl kein Wettermodell übersahen. Kurz vor der Tour gab es wettertechnisch offizielle Entwarnung, die dann allerdings nach einem Aufstieg auf die Chemnitzer Hütte von der Realität eingeholt wurde, da über Nacht, entgegen aller Prognosen, ein richtiger Wettersturz über uns hereinbrach. Unser fantastischer Hüttenwirt Roland meinte nur lakonisch, dass er seit 26 Jahren die Hütte betreibt und noch nie so einen schlechten Sommer hatte… Also blieb uns nur der Abstieg in den Talkessel zum Nevesstausee und die Heimreise. – Brigitte hatte noch vor Ort alle Hütten kontaktiert und es geschafft die Buchungen um 2 Wochen zu verschieben!
Und dann ging es am 12.08. zum zweiten Mal los. Dieses Mal zu zehnt, davon 5 Jugendliche. Bei bestem Sonnenschein, perfekten, sommerlichen Temperaturen und guter Laune führte unser Weg uns erneut von Lappach auf die Chemnitzer Hütte.
Ein traumhafter Aufstieg, aus den Talniederungen durch den Bergwald und blühende Graswiesen auf unser erstes Ziel, das Lappacher Jöchl (2371m). Und anders als vor 2 Wochen eröffnete sich uns nun hier oben gleich das Panorama der nächsten Tage mit Blick auf die Gletscher von Großvenediger, die Dolomiten im Süden und Nevestalferner, garniert mit dem Gipfelpanorama der Zillertaler Alpen. Zwischen den ausgedehnten und zum Teil steilen Grashängen, die so typisch für die Region sind, müssen immer wieder ausgedehnte Blockschuttfelder gequert werden, die allerdings zum Teil Dank der italienischen Armee nach 1945 mit beeindruckenden Wegen durchzogen sind. Schnell kamen wir dann an unseren ersten See, den Tristensee, und da uns Roland bei dem ersten Anlauf verraten hatte, dass dies der wärmste See in der Umgebung sei, wurde nach schweißtreibendem Aufstieg und mittlerweile auch schon 4 Stunden Laufzeit die Badequalität gleich ausprobiert.
Die Jugendlichen wagten sich zunächst nur zaghaft ans kalte Nass, Angelika schwamm natürlich sofort raus, was uns alle ebenfalls dazu animierte ihr es gleich zu tun. Nach kurzer Zeit waren fast alle Teilnehmer im Wasser. Nun, erfrischend war der Spass schon, das Attribut „warm“ wurde jedoch sofort gestrichen.
Die letzte Stunde zur Hütte bescherte uns wieder grandiose Aussichten, Murmeltiere und ja so langsam tauchten wir in die Magie der Bergwelt ein.
Am zweiten Tag ging es dann zur futuristischen Edelrauthütte. Dieser Tourentag führt weit oberhalb des Nevesstausee um den nördlichen Talschluss, unterhalb des Nevesferner. Landschaftlich ist dieser Tag geprägt durch die Wanderung auf glatt geschliffenem Gestein des ehemaligen Gletscherbettes, unzähligen Querungen von Wasserfällen und Geröllfeldern der Gletschermoränen. Ein besonderes Erlebnis war ein kurzer Abstecher zum Gletschertor durch wegloses Gelände, wo sich die Kletterqualitäten unseres Wanderer Nachwuchses das erste Mal zeigten. Der Eingang in den Gletscher bleibt jedoch durch einen ausgedehnten See verwehrt. Beeindruckend ist es trotzdem.
Wieder auf dem Normalweg, erreichte die Gruppe dann nach Querung einiger mit leuchtendem und nickendem Wollgrass bewachsenen Sumpfwiesen den eigentlichen Ursprungsee, der direkt vom Gletscher gespeist wird und dementsprechend eisig kalt ist. Auch die Schneefelder direkt am Rand des Sees konnten einige von uns nicht davon abhalten einen direkten Badevergleich zu dem gestrigen Erlebnis zu starten.
„Eisbaden im Sommer“ – wurde somit zur Challenge der Tour. Da wir täglich mindestens an einem See vorbeikamen, lautete unsere Devise „Jeden Tag in einen Bergsee zu springen“.
Da freut man sich, wenn man anschließend ein Getränk für die innere Wärme im Rucksack findet. Und dann lernten wir eine besondere Form der Wegelagerei kennen. Bergschafe, die sich offensichtlich auf Touristen eingestellt haben und uns mit Geduld und Ausdauer, um Streicheleinheiten bittend, das nächste Wegstück begleiteten. Sie waren so anhänglich und kuschelig, dass wir uns nur schwer von ihnen trennten. Da wird wahrscheinlich der ein oder andere Wanderer schwach und teilt seine Brotzeit gerne. Nach diesem wirklich spektakulären Tag wurden wir dann in der sehr modernen Edelrauthütte sehr freundlich empfangen und bestens bewirtet. Die oberen Dreistockbetten sind allerdings nur für absolut schwindelfreie und trittsichere Wanderer geeignet.
Auf der 3. Etappe, dem Weg zur Tiefrastenhütte, wartet ein langer, konditionell anspruchsvoll Tag, mit einer ganz eigenen und völlig unterschiedlichen Streckencharakteristik von dem vorherigen Abschnitt auf uns. Erst einmal ging es 500 Meter durch Almen Gebiet mit Murmeltieren und sich Majestätisch in Positur stellenden Rindern abwärts, um dann wieder an Höhe zu gewinnen. Ditta und ich ließen uns dabei erst einmal zurückfallen, um die Blaubeeren am Wegrand zu ernten. Wundervoll. Was dann kommt, ist ein langer Abschnitt entlang eines steilen Wiesenabhanges, der bei trockenem Wetter jedoch für geübte Wanderer absolut gut machbar ist, entgegen des teilweise sehr dramatischen Darstellungen im Internet. Hier kann man nicht nur den Weitblick genießen, sondern auch die gesamte Alpenflora so üppig auf den Wiesen bewundern, dass man sich schon fragt, weshalb das Edelweiss eigentlich als selten eingestuft wird.
Am Ende dieses Abschnittes mit den steilen Grashängen, dann das ganz besondere Erlebnis: die Gampishütte! Die Hütte stellte sich als eine sehr einfache Alm heraus. Aber dafür bewirtschaftet von dem Senner aus dem Bilderbuch, Luis, der uns erst einmal in seiner urigen, einfachen Küche auf dem Holzofen 10 Kaiserschmarrn zauberte, wofür er erst einmal Eier aus dem Hühnerstall holen musste. Einfach fantastisch. Allerdings kommen nach dieser Einkehr noch 600 Höhenmeter mit schwerem Blockwerk am Ende, der Überschreitung der Hochsägescharte und ein steiler Abstieg zur Hütte. Dem Genuss war also ein zeitliches Limit gesetzt. 300 Höhenmeter nach dieser Einkehr gelangt man dann an einen wirklich verzauberten Ort, dem Goldsee, gelegen in einem sanften Talkessel mit Ausblick auf die Gletscherwelt der Zillertaler Alpen. Dazu noch eine kleine Halbinsel mit „Sprungstein“. Da gab es kein Überlegen, Klamotten aus und erneut rein ins frische Nass! So langsam gewöhnt man sich an die Temperaturen.
Die anschließende Kletterei hinauf zur Hochsägescharte war spannend und nicht ungefährlich. Man muss sich seinen Weg schon sehr aufmerksam durch das sehr scharfkantige und völlig weglose Blockwerk suchen. Hier abzurutschen wird schnell zu Verletzungen führen. Von der Scharte offenbarte sich bereits der Blick auf unser Tagesendziel, das wir nach etwa 45 Minuten Abstieg erreichten. Auf der Tiefrastenhütte angekommen, bevorzugten wir, statt duschen, natürlich ein erfrischendes Bad im hauseigenen See, zumal die Sonne noch vom Himmel lachte.
Und dann muss man einfach herausheben, dass die Küche auf dieser Hütte wirklich 2 Sterne verdient hat. Überglücklich über die schönen Tage, das gute Wetter, die fröhliche, harmonische Stimmung in der Gruppe, genossen wir unseren letzten gemeinsamen Abend. Und diese kulinarische Stärkung brauchten wir auch für den letzten Tag, der mit insgesamt 1500 Metern Abstieg und 500 Metern Gegenanstieg zum Kleinen Tor – dem „La Portella“ uns noch einiges an Kraft abverlangte.
Ein Tag, geprägt durch die von Granitgipfeln umsäumten Wiesenhänge, an dem man vor sich hinwandernd noch einmal die vergangenen Tage im Kopf genießen konnte. Unten im Mühlwalder Tal angekommen kam es dann, das nächste Unwetter mit Starkregen genau in dem Augenblick, wo wir in Mühlwald das Festzelt des Dorffestes erreichten. Was für ein toller Abschluss einer wirklich schönen und bezaubernden Tour.
Wer Abgeschiedenheit sucht und ein wenig Erfahrung und Kondition mitbringt, der sollte sich die Pfunderer Berge jedenfalls nicht entgehen lassen.