Nach den Sommeraktionen 2020 und 2021 der Deutschen Bahn toppte das diesjährige Neun-Euro-Ticket alle vorherigen Angebote. Dieses Jahr fiel unsere Ferienwahl auf Oberbayern, das wir mit dem Neun-Euro-Ticket erkundeten.
Die eiszeitlich geprägte Moränenlandschaft vor den Alpen bietet durch die vielen Seen, Flüsse und Moore ein schönes Bild. Die Region mit ihrer Geschichte und Kultur, ihren an Flüssen gelegenen romantischen Städten, Klöstern und Malerkolonien möchten entdeckt werden. Das Voralpenklima mit seinen kühlen Nächten taten ihre positive Wirkung und ließ uns die Hitze im Oberrheintal schnell vergessen.
Die ursprünglich geplante Hinfahrt durch das landschaftlich schöne Donautal nach Ulm mussten wir aufgeben, nachdem die S-Bahn von Breisach nach Freiburg in Gottenheim betriebstechnisch stehen blieb. Nach den o. g. Anfahrts- und Verbindungsschwierigkeiten, die wir dank Ortskenntnissen und Internetrecherchen gut meisterten, erreichten wir über Karlsruhe, Stuttgart, Esslingen, Ulm unser Endziel Kochel am See. Den Ort wählten wir als Ausgangspunkt für Erkundungen in der näheren Umgebung, da es über einen Bahnanschluss und über Buslinien in verschiedene Richtungen verfügt.
Kochel liegt am Fuße der Alpen unmittelbar am Kochelsee im sogenannten „Blauen Land“. Dieses benennt sich nach der Malergruppe „Blauer Reiter“. Bedeutende Expressionisten wie Franz Marc, Wassily Kandinsky, seine damalige Lebensgefährtin Gabriele Münter, Lovis Corinth, die alle in der Umgebung wohnten, prägten die Gegend. Die farbenfrohen Gemälde sind im Franz-Marc-Museum zu Kochel und im Schlossmuseum zu Murnau zu besichtigen. Am Kochelsee liegt das Walchenseekraftwerk, eines der größten Speicherkraftwerke in Deutschland, dessen Maschinenhalle und Informationszentrum frei besichtigt werden kann. Das Wasser des 200 Meter höher gelegenen Walchensees, dem natürlich und künstlich über Tunnel weiteres Fluss- und Bachwasser aus den Alpen zugeführt wird, stürzt durch große Rohre in die Tiefe und treibt über Turbinen die Generatoren zur Stromgewinnung an.
Wir legen am Vorabend eine Verbindung mit Zug und Bus über das Kloster Andechs zum Starnberger See zurecht. Zu unserer Überraschung wurde ohne weitere Vorankündigung ein Schienenersatzverkehr mit Taxis eingerichtet. Durch das Bahnunglück bei Garmisch-Partenkirchen Anfang Juni überprüft die Deutsche Bahn die Strecken auf schadhafte Stellen. Dies werden wir auf unseren Touren öfter erfahren. Deshalb sind insgesamt die Busverbindungen pünktlicher und zuverlässiger als die Zugverbindungen gewesen.
Kloster Andechs ist durch Linienbusse gut erreichbar. Das Kloster liegt auf dem Gipfel eines Moränenhügels; dort erschließt sich ein herrliches Panorama bis zu den Alpen. Das Benediktinerkloster entstand im 13. Jahrhundert an der Stelle der Burg Andechs. Heute ist Kloster Andechs ein Wallfahrtsort und Wirtschaftsgut. Letzteres umfasst Klosterbrauerei, Gaststätte, Landwirtschaft und ein Tagungs- und Kulturzentrum. Legendär ist das Bier der Andechser Klosterbrauerei, das in der Gaststätte an der Theke wie am Fließband ausgeschenkt wird. Auch Weißwürste mit Brezel oder Schweinshaxen mit Kartoffelsalat waren vielen Gästen eine willkommene Stärkung. Von der Bushaltestelle und Auto-Parkplatz muss allerdings der sehr steile Anstieg hinauf zum Kloster geschafft werden.
Ein schöner frei zugänglicher Badestrand liegt in der unmittelbaren Nähe des Bahnhofes der Stadt Starnberg. Der Starnberger See ist aufgrund seiner Fläche und vor allem der großen Tiefe bis 128 Meter nach dem Bodensee der zweit-wasserreichste See Deutschlands. Die Weite des Sees mit dem Alpenpanorama im Hintergrund sind eine Augenweide.
Eine Wanderung durch die spektakuläre Leutascher Geisterklamm bei Mittenwald im bayerisch-tirolischen Grenzgebiet mit seinen abenteuerlichen Stahlsteigen und Brücken nehmen wir uns vor. Ein stündlich verkehrender Linienbus bringt uns von Kochel nach Mittenwald. Von dort führt ein Wanderweg in 40 Minuten zur Klamm. Die sehr tiefe Klamm kam durch Tiefenerosion der Leutascher Ache zustande. Der größere und mächtigere Isartalgletscher hat während der Eiszeiten sein Tal tiefer ausgeschürft als der kleinere Seitengletscher der Leutascher Ache. Durch diesen Höhenunterschied war die Leutascher Ache gezwungen sich tief einzuschneiden. Charakteristisch für die atemberaubend tiefe Klamm sind Wasserfälle und Kolke (auch Strudelloch). Die Klamm wurde mit einem von der EU geförderten deutsch-österreichischen Projekt im Jahr 2006 touristisch erschlossen, ausgebaut und ist frei zugänglich.
Die zweite Woche verbringen wir im Chiemgau. Von unserem Quartier in Bernau am Chiemsee erkunden wir den flächenmäßig größten See Bayerns, zunächst mal mit dem Schiff und an einem anderen Tag mit der Chiemsee-Ringbuslinie. Zwei sehenswerte Inseln, die Herreninsel und die Fraueninsel bergen wichtige Sehenswürdigkeiten; auf der Herreninsel das Schloss Herrenchiemsee mit Parkanlage des bayerischen „Märchen“-Königs Ludwig II und auf der Fraueninsel das ehemalige Benediktinerinnenkloster Frauenchiemsee. Ludwig II war ein leidenschaftlicher Schlossbauherr. Er baute ab 1878 das Schloss Herrenchiemsee nach dem Vorbild von Versailles, das aus Geldmangel bis zu seinem Tode 1886 nicht vollendet werden konnte. Bei einer Schlossführung kann man das mit großem Prunk ausgestattete Schlafzimmer des Königs und den mit Lüstern reich geschmückten Spiegelsaal bewundern. Der König verbrachte nur wenige Tage im Schloss und hielt infolge seiner Zurückgezogenheit hier auch keine Konferenzen ab.
Gewohnt hat Ludwig II auf der Herreninsel allerdings im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift. Im Museum in den ehemaligen Klostergebäuden lohnt die Ausstellung der Gemälde der im sogenannten Malerparadies um den Chiemsee arbeitenden Künstler. Die Chiemseemalerei entstand um das Jahr 1820. Ein Raum widmet sich dem expressionistischen Maler Julius Exter (1863-1939), der am Chiemsee wohnte.
Die Chiemsee-Ringbuslinie fährt dreimal am Tag in beiden Richtungen um den Chiemsee und braucht dafür etwa zwei Stunden. Sie fährt alle Ortschaften an, hält an allen Strandbädern, hat Fahrradanhänger und ist für Gästekarteninhaber kostenlos. Wir sind erfreut über die freie Zugänglichkeit der Seeufer, die am ganzen Chiemsee überwiegend unverbaut sind. Einige Strandbäder mit eigener Dusche und Umkleidekabinen sind sogar frei. Der Ringbus ermöglicht zu unserer Badefreude einen Wechsel vom einen zum anderen Strandbad ohne Parkplatzsorgen und -gebühren. Überall am See werden geräucherte Fische und Fischsemmel angeboten, wobei die Renke, die dem Bodenseefelchen entspricht, häufig verkauft wird.
Die meisten Städte Oberbayerns liegen an Flüssen aus den Alpen und bieten schöne Stadtlandschaften. Ein typisches Beispiel dafür ist die auf einem engen Umlaufberg des Inns malerisch gelegene Stadt Wasserburg.
Typisches Merkmal der Altstädte im östlichen Oberbayern wie Rosenheim, Mühldorf, Traunstein und Burghausen ist die Inn-Salzach-Bauweise der Bürgerhäuser. Die drei bis vierstöckigen Gebäude bilden eine nach oben gezogene Häuserfront. Die Häuserseiten sind höher als das Dach und und verhindern somit bei Feuerbrünsten ein Übergreifen auf Nachbargebäude. Die Dächer sind flach konstruiert und entwässern das anfallende Regenwasser oft nach innen. Oft schmücken durchgehende Laubengänge mit Geschäften die Häuser an der Straße.
Die größeren Flüsse Oberbayerns wie Isar, Inn und Salzach stammen aus den Alpen. Waren und Bausteine wurden mit Schiffen transportiert, das Holz wurde auf diesen wasserreichen Flüssen getriftet. Von der Schifffahrt profitierten viele Städte, insbesondere die Landeshauptstadt München von der Isar.
Überall an den Flüssen trifft man auf Spuren der Salzgewinnung und des früheren Salzhandels.: Salinen, Salzstadel (Salzlager), Salzamtsgebäude und Mauthäuser. Abgebaut wird Steinsalz bei Berchtesgaden bis heute, die Salzgewinnung aus Solequellen in der Saline Bad Reichenhall ist Tradition. Eine 33 Kilometer lange Soleleitung aus Holzdeicheln wurde schon im 17. Jahrhundert von Bad Reichenhall zur Saline nach Traunstein verlegt und gilt als älteste Pipeline der Welt. Diese Soleleitung wurde Anfang des 19. Jahrhunderts im Süden bis Berchtesgaden und im Westen zur Saline nach Rosenheim mit einer Gesamtlänge von 81 Kilometer verlängert.
Wir besichtigen das Bayerische Staatsbad Bad Reichenhall. Im Königlichen Kurgarten liegen die Wandelhalle mit Solewasserausschank und die Gradieranlage. Mehrere Laufbrunnen in der Stadt werden nicht mit Süßwasser, sondern mit verdünnter Bad Reichenhaller Alpensole gespeist. Wir nehmen an einer Führung durch die Alte Saline Bad Reichenhall teil und werden durch Stollen zu einer Solequelle geleitet. Ein historisches Wasserrad mit einem Durchmesser von 13 Meter trieb im Hauptbrunnhaus eine Pumpe für die Soleförderung zur Alten Saline, die bis 1926 bestand, an. Eine neue heutige Saline mit neuen Betriebsgebäuden befindet sich in der Nähe und stellt das bekannte Bad Reichenhaller Salz her. Die Geschichte der Salzgewinnung und Verarbeitung erläutert das angeschlossene Museum.
Wir fahren mit der historischen Seilbahn zum Predigtstuhl (1583m). Sie ist mit den historischen Original-Kabinen aus dem Jahr 1928 bestückt; auch sie sind ein Wahrzeichen von Bad Reichenhall. Ein Höhenunterschied von über 1100 Metern wird überwunden. Der einstündige Rundweg bietet eine atemberaubende Sicht auf die Städte Bad Reichenhall und Salzburg sowie zu den Alpengipfeln wie dem Hochkalter und de, Watzmann.
Da die grenznahen österreichischen Städte Salzburg und Kufstein im Geltungsbereich des Neun-Euro-Tickets liegen, entscheiden wir uns für Salzburg. Vom Hauptbahnhof führt der Weg über den schön angelegten Mirabellgarten schnell in die Innenstadt. Es ist Sonntag. Wir haben Glück, der Gottesdienst im Dom wurde vom Domchor, Orchester und Solisten mit Stücken der Missa Solemnis von Mozart dargeboten. Salzburg ist die Stadt der vielen Kirchen, die wir gar nicht alle besichtigen können. Die Festung Hohensalzburg war Residenz der Salzburger Erzbischöfe und lohnt mit seiner spektakulären Aussicht, seinen Museen und Ausstellungen einen Besuch. Die Zahnradbad bringt uns mühelos hinauf zur Festung. Der romantische St. Peter Friedhof nahe dem Dom mit seinen in die steile Felswand gehauenen Katakomben fasziniert uns. Der St. Sebastian-Friedhof am Rand der Innenstadt mit seinen im Quadrat angelegten Gräbern und Grüften ist für Musikliebhaber interessant. Wolfgang Amadeus Mozarts Witwe Constanze und sein Vater Leopold sowie der Naturphilosoph Paracelsus haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Der zweiwöchige Urlaub in zwei verschiedenen Regionen Oberbayerns war durch das Neun-Euro-Ticket der DB kostengünstig, stressfrei, umweltschonend und kulturell sehr bereichernd.
Fotos und Text: Dr. Bernhard und Irmtraud Grimm