Treffen sich vier Tittmoninger, ein Unterfranke, eine russischstämmige Münchnerin und drei Süddeutsche mit siebenbürgischen Wurzeln am Flughafen von Sibiu / Hermannstadt. Zehn Tage später sind alle ein Stück weit zu Siebenbürgern geworden, in jedem Fall aber um unzählige Eindrücke, Erlebnisse und Erkenntnisse reicher. Tourenleiter Hans hatte ein gut durchdachtes Programm auf die Beine gestellt, das uns für vier Trekkingtage zu den höchsten Gipfeln der rumänischen Karpaten führen sollte, um danach fünf Tage lang die Städte und Kulturstätten rund um Sibiu und Sighisoara / Schäßburg zu besichtigen.
Dass nach insgesamt 52 erwanderten Kilometern und rund 4300 Höhenmetern die Kalorienbilanz desaströs ausfiel, lag an einem kulinarischen Phänomen namens Papanasi – in jeder Variante und (fast) an jedem Abend von mindestens einem der Teilnehmerinnen oder Teilnehmer ausprobiert. Bis vielleicht auf den Abend in der Podragu-Hütte, aber diese ist auch ein Phänomen für sich.
Am 7. August starteten wir also in Sibiu. Der erste Ausflug von unserem Hotel am Stadion in die Innenstadt empfing uns mit einem Folklorefest auf dem Großen Platz, was schon mal einen Eindruck von den üppigen Kulturtraditionen des Gastgeberlandes Rumänien bescheren sollte. Am darauffolgenden Tag ging es jedoch erstmal in Richtung Berge. Ein Sommerfenster stand uns bereit, das für die Dauer unserer Reise anhalten sollte und eine Ausnahme darstellte in der ansonsten untypisch sehr regenreichen Saison 2021.
Den Einstieg in die hohen Berge bot die Negoiu-Hütte auf 1546 m, der erste Stopp auf unserer Tour entlang des Hauptkamms in den Munţii Făgăras / Fogarascher Gebirge. Von da aus ließ sich am nächsten Tag der gleichnamige Gipfel Negoiu erklimmen, mit 2535 m die zweithöchste Erhebung der rumänischen Karpaten, um gleich darauf den weiten Weg zum Bâlea-See anzuschließen. Dieser Zwischenstopp bot einen kleinen „Abstieg in die Zivilisation“, liegt doch die Hütte – oder besser gesagt die zum Tourismuskomplex angewachsene Hotelanlage – am höchsten Punkt der kurvenreichen Passstraße am Transfăgărăsan. Ansonsten begleiteten uns entlang unserer gesamten Wandertour meist sehr einsame Pfade, frische Quellen, eine sattgrüne Bergvegetation, pralle Heidelbeeren, unzählige Schafe und ab und zu mal eine Gamsherde. Bären fanden uns wohl zu langweilig, und wir wollten auch nicht unbedingt stören.
Der dritte Tag oberhalb von 2000 m ließ sich, vorbei am Capra-See oder dem Drachenfenster bis zur Podragu-Hütte, in allen Zügen genießen. Abwechslungsreich und der kargen Infrastruktur entsprechend weitläufig zog sich die Kammwanderung hin. An der ersehnten höchstgelegenen Hütte unserer Tour kamen wir ausgehungert an. Leider hatten die Esel – die einzigen Transportmittel weit und breit – an diesem Abend kein Brot im Gepäck, sondern nur Holz. Die einsame und sehr solide gebaute „cabană“ (rumänisch Hütte), gab von innen jedoch ein eher trauriges Bild ab. Vielmehr luden 6° C zu einem Abendspaziergang an die hüttennahen Seen ein, an denen so manche, sehr internationale Wanderer ihre Zelte aufgespannt hatten.
Früh am Morgen ging es weiter, Nebel und Sonne gaben sich die Klinke in die Hand. Es sollte ein sehr langer, aber ein alles krönender Tag werden. Zunächst ging es in strammen Schritten auf den höchsten Gipfel Rumäniens, den Moldoveanu, samt seinen 2544 m. Danach zogen sich unendliche Auf- und Abstiege entlang des Kamms in Richtung Großes Fenster / Fereastra Mare a Sâmbetei, einem imposanten Sattel, an dem wir die steinigen Höhen letztendlich verlassen mussten. Der lange Abstieg von dort zur Salvamont-Hütte (rumänisch Bergwacht) gleich neben der Cabana Valea Sâmbetei hatte es nochmal in sich, sollte uns aber wieder mit frischen Beeren belohnen und gipfelte im herzlichsten Empfang unserer SKV-Freunde Thomas und Lobelo. Das beste Essen, das frischeste Bier und die weichsten Betten der letzten Tage entschädigten für alle Strapazen.
Schon hieß es an Tag 5 der Siebenbürgen-Reise, von den Karpaten Abschied zu nehmen. Wir behielten sie aber für die Dauer des nachfolgenden Kulturtrips immer schön aus der Ferne im Blick. In Sibiu stand eine sehr lehrreiche, deutschsprachige Stadtführung auf dem Programm, die tief in die Geschichte der Vielvölkerregion und bis in die jüngste Zeit als Kulturhauptstadt Europas reichte. Wieder ein Tag später brachen wir nach Schäßburg auf, einem touristisch sehr begehrten, mittelalterlichen Städtchen, das seinen internationalen Ruhm nicht nur aufgrund der Tatsache erlangte, dass Hans hier zur Schule ging. Ein geschmackvolles Hotel inmitten der Altstadt, eine hochinteressante Führung und viel Zeit zum Schlendern, Erkunden, Essen und Trinken warteten an dieser Station der Reise auf uns. Unterwegs zwischen den beiden Städten boten die typischen Siebenbürger Dörfer einen Augenschmaus. Bunt getünchte Häuschen, Pferdekutschen, unfassbar viele Störche und die reichhaltige Landschaft ließen die Augen an den Autoscheiben kleben. Nicht fehlen durften die Kirchenburgen, jene Kulturdenkmäler, für die Siebenbürgen (welt-)berühmt ist. Biertan / Birthälm stand ohnehin auf dem Programm, Mosna / Meschen und Richis / Reichesdorf nahmen wir unterwegs zusätzlich mit und staunten in jedem Winkel über Architektur, Handwerk, Kunst und Kultur weit vergangener Jahrhunderte.
Man kann es nicht oft genug sagen: In Rumänien scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Und so intensiv die zehn Tage insgesamt auch waren, jede Minute lieferte einen frischen Eindruck davon, was Zeit eigentlich wert ist, und was unsere Vorfahren – egal in welcher Ecke dieses Kontinents – bis vor einigen Jahrzehnten für einen Alltag gelebt haben dürften. Handys und Digitalkameras, die unermüdlich Bilder knipsten, weniger die Pandemie aber der rabiate Autoverkehr holten uns dann doch immer wieder in das aktuelle Zeitgeschehen zurück.
Für die letzten beiden Tage ging es – mit einem kurzen Zwischenstopp an den recht kommerziell betriebenen Natursalz-seen in Ocna Sibiului – wieder nach Hermannstadt zurück. Einen eindrucksvollen Abschluss lieferte der Besuch im Freiluftmuseum für traditionelle Volkskultur Astra, der in jedem Fall lohnenswert ist und die Zeitreise nochmal perfekt machte. Am finalen Abend in unserem liebgewonnenen Stammhotel von Adi & Nicol (das Ergebnis war eindeutig, hier gab es die besten Papanasi!), war dann ein Hauch von Wehmut gepaart mit Feierlaune zu spüren. Die Musikpalette auf der Spontanparty reichte von Heavy Metal bis Boogie-Woogie, was die Stimmung wohl ganz gut zusammenfasst. Da für manche von uns am nächsten Tag die Heimreise nach Deutschland anstehen sollte, machte sich langsam doch auch Vorfreude breit.
Rita, Astrid, Hans und Walter von der Sektion Tittmoning waren nicht ganz unschuldig am Entstehen dieser Reise. Tourenleiter Hans wollte damit unserer Partnersektion die Ursprünge des eigenen Vereins zeigen. Wir vier Trittbrettfahrer, darunter Natascha, Andreas und Pepe, der uns lediglich auf der Bergtour begleitete, haben deutlich von dieser Initiative profitiert. Allen voran unserem Tourenleiter Hans, den Gastgebern vor Ort aber gerade auch unseren Reisebegleitern aus dem tiefen Osten Bayerns gebührt ein großer Dank für diese wirklich eindrucks-vollen zehn Tage in Siebenbürgen. Und allen „Karpatlern“ unserer Sektion, die den namensgebenden Gebirgszug noch nicht besucht haben, sei gesagt: Es ist zwar keine Pflicht, aber eine große Ehre, dieses Fleckchen Erde zu kennen.
Foto: Sabina Strambu Foto: Andreas Staudt