Wie die Jahre zuvor fand auch dieses Jahr, allen Widrigkeiten zum Trotz, am 1. Wochenende im September der Klettersteigkurs von Hans Werner an der Franz-Senn-Hütte im Stubaital statt. Aufgrund der Werbung die wir seit Juni per Mundpropaganda machten, war der Andrang heuer besonders groß. Letztendlich durften 22 Personen an dem Kurs teilnehmen, davon 6 Jungs im Alter von 10 bis 14 Jahren, die 3 Ausbilder Florin, Klaus und Hans und weitere 13 Erwachsene.
Die Idee zur Bildung einer Jugendgruppe kam beim Bergsteigerkurs im Juni 2020 auf, als in mir der Wunsch entfachte meinen beiden Söhne Luis und Thomas die gleichen Erlebnisse zu ermöglichen. Ich war sicher, dass Sie am Klettern und Abseilen genauso viel Gefallen finden würden wie ich. Hans war von meinem Vorschlag sofort begeistert und stimmte zu, sofern wir 4 – 6 Jugendlichen zusammen bekommen. Das war nicht schwer … die 6 Jugendlichen hatten wir schnell zusammen. Miro nahm seine beiden Neffen mit und meine Freundin Marieke ihre beiden Söhne ebenfalls.
Die Größe der Gruppe mit ihrem unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissensstand der Teilnehmer, war in diesem Jahr eine der Herausforderungen für unseren Ausbilder Hans Werner. Er stand vor der Frage: wie soll man die Teilnehmer in sinnvolle Gruppen einteilen, so dass jeder sich weiterentwickelt und keiner wirklich überfordert ist. Die andere war die Gruppe der Jugendlichen, denn sie waren die Jüngsten die Hans je zur Ausbildung hatte. Was kann er mit ihnen machen? Was kann er ihnen zumuten? Hans wollte, dass alle, auch der 10-jährige, ihm bei seinen Ausführungen folgen können, dass sie Freude am Bergsport entwickeln und ein kleines Feuer der Begeisterung in ihnen entfacht wird.
Am Freitagabend gab es nach einer kurzen Vorstellungsrunde noch eine kleine Einführung in die Materialkunde, so dass anschließend jeder wusste, was ein HMS-Karabiner, ein Abseilachter, ein Klettersteigset, Gurt und eine Bandschlinge sind.
Am Samstagmorgen ging es dann endlich los. Wir versammelten uns vor der Hütte um bei herrlichem Sonnenschein und angenehm sommerlichen Temperaturen die wichtigsten Knoten: Achter, Mastwurf, Halbmastwurf und Prusik zu lernen oder aufzufrischen.
Die Kinder reihten sich in der 1. Reihe auf und hingen förmlich an Hans Lippen. Sie waren sehr konzentriert und übten die gezeigten Knoten eifrig.
Anschließend zeigte uns Hans den Schleifenknoten noch, der uns helfen soll im Notfall jemanden aus einer schwierigen Stelle hochzuziehen. Das Besondere an dieser Konstruktion (Express Flaschenzug) aus Schleifenknoten, HMS-Karabiner und Prusik ist, dass das Gewicht der zu bergenden Person um die Hälfte reduziert wird und somit der Kraftaufwand gering ist. Nachdem alle den Schleifenknoten geübt hatten, unterzogen sich die Jugendlichen, sowie die tapferen Damen Barbara und Kuni dem Vertrauenstraining. Dafür mussten sie sich einzeln auf einen Felsen stellen und sich steif nach hinten fallen lassen und darauf vertrauen, dass die starken Männer sie in ihren Armen auffingen. Keine einfache Übung, kostet es doch Überwindung sich einfach fallen zu lassen.
Für den Praxisteil wurden die Teilnehmer in 3 Gruppen eingeteilt. Die Jugendgruppe übernahm Hans mit seinem Assistenten Miro. Die Gruppe der „Neulinge“ übernahm Florin Zalum. Florin hatte in diesem Sommer seine Ausbildung zum Tourenleiter im Bergsteigen bestanden und brannte nun voller Elan und Begeisterung darauf sein Wissen an seine Schützlinge weiterzugeben. Die 3. Gruppe bildeten die Erwachsenen mit Vorkenntnissen. Diese übernahm Klaus Gündisch.
Die Jugendgruppe und die Gruppe der Neulinge begaben sich im Umfeld der Hütte zu Übungsfelsen die ca. 5 m hoch waren. Bei diesen beiden Gruppen ging es im ersten Schritt darum, den Ablauf des Sicherns, die Anwendung des Abseilachters und des Prusiks und schließlich das Abseilen zu üben. Sie sollten ein Gefühl fürs Abseilen, sowie Vertrauen in die eigene Sicherungstechnik erlangen. Die Gruppe der Fortgeschrittenen tat im Prinzip das Gleiche, nur an einer ca. 15 m hohen Felswand über dem Alpeiner Bach. Der Schwerpunkt lag hier auf der Auffrischung der kompletten Abseiltechnik.
Nachdem alle Teilnehmer sich 2 – 3 Mal abgeseilt hatten, wechselte man die Übungsplätze.
Sowohl Florins Gruppe, sowie die Jugendgruppe kamen zu der 15 m hohen Felswand um die erworbenen Fertigkeiten in einer höheren, größeren Dimension auszuprobieren. Alle Teilnehmer aus Florins Gruppe schafften es sich einwandfrei abzuseilen. Die Freude und der Stolz waren ihnen ins Gesicht geschrieben.
Bei den Kindern konnten sich Christian, Peter und Luis überwinden sich an diesem hohen Felsen abzuseilen. Die 3 Jungs kamen voller Stolz und überglücklich es geschafft zu haben am Fuße der Felswand an, wo Miro, der sie von unten sicherte, auf sie wartete. Die Jungs waren gefühlt innerhalb von 2- 3 Minuten um einen ganzen Kopf großer geworden! Die Erwachsenen die unten standen klatschten ihnen anerkennend Beifall. Die Begeisterung und Freude die sie versprühten waren ansteckend.
In der Zwischenzeit versuchte sich die Gruppe von Klaus nebenan an einer Kletterroute III. bis IV. Grades, bei der Klaus von unten sicherte. Mit dieser hervorragenden Aufteilung in Kleingruppen nach Kenntnis- und Erfahrungsstand, fand jeder Teilnehmer eine Herausforderung bei der er etwas dazulernen und an der er wachsen konnte. Selbst für diejenigen die schon ein bisschen Klettererfahrung hatten, war es keine besonders leichte Route. Jeder einzelne war sehr froh die Kletterei bis hinauf geschafft zu haben!
Nach einer kleinen Pause mit Brotzeit ging es dann am Nachmittag endlich auf die langersehnten Klettersteige. Wir wollten am Samstagnachmittag unbedingt den Höllenrachen begehen, der etwa 20 Minuten talaufwärts von der Hütte liegt und am Sonntagvormittag den Edelweiß-Klettersteig.
Der Höllenrachen ist laut Fachliteratur als schwieriger Klettersteig eingestuft, hat er doch viele Stellen der Kategorie C und D. Der Klettersteig an sich ist kurz, aber sehr abenteuerlich. Er verläuft durch die sehr schmale kleine Schlucht, die der Alpeiner Bach in den Granitfelsen eingegraben hat. Man klettert die ganze Zeit über dem tosendenden Bach und bekommt einen hautnahen Eindruck von der Urgewalt des Wassers. Es ist beeindruckend wie das Wasser, selbst bei diesem recht niedrigen Wasserstand, durchprescht und wie es den Felsen unterspült und abgeschliffen hat. Die Schlüsselstelle ist der sogenannte „Hexenkessel“ (eine E-Stelle) in den man sehr steil hinabsteigt, unter dem Felsen hindurchkriecht um gleich den tosenden Bach mit Hilfe einer Seilrutsche zu überqueren. Danach folgt man dem Klettersteig auf der gegenüberliegenden Wand zum Ausgang.
Hans hatte ein Kind ein kurzes Stück reingehen lassen um zu testen, ob es mit den Abständen zwischen den Seilpfeilern zurechtkommt. Leider stellte sich heraus, dass der Klettersteig für die Kinder aufgrund ihrer Körpergröße nicht machbar ist. Sie waren enttäuscht, da sie darauf brannten an diesem außergewöhnlichen Spektakel teilzuhaben. Sie konnten dennoch an einigen Stellen zumindest einen Blick in den Höllenrachen werfen und den Erwachsenen ein Stück weit zuschauen.
Für den restlichen Nachmittag durften die Kinder am ruhigen Abschnitt des Alpeiner Baches oberhalb der Hütte im Bach spielen, buddeln und Brücken bauen.
Wir Erwachsene waren nach diesem tollen Erlebnis noch voller Tatendrang, wir hatten gerade mal 16 Uhr. Da sich für Sonntag ein Wetterumschwung ankündigte, beschlossen wir den Edelweiß-Klettersteig gleich mitzunehmen. Wir wollten den auf keinen Fall auslassen. Klaus machte sich mit seiner Gruppe auf den Weg zum Einstieg des Klettersteigs, Florins Gruppe kam etwas später nach.
Der Edelweiß-Klettersteig liegt ca. 10 Minuten von der Hütte entfernt und führt über eine stark zerklüftete Felswand an einer ausgesetzten Felskante ca. 100 Hm empor. Der Schwierigkeitsgrad wird in der Fachliteratur mit B und C angegeben. Aufgrund der Ausgesetztheit und der stellenweise weit voneinander entfernten Seilbefestigungen, fanden die meisten Teilnehmer diesen Klettersteig anspruchsvoller und anstrengender als den Höllenrachen. Vielleicht lag es ein wenig auch an den langsam schwindenden Kräften. Es ist auf jeden Fall ein sehr schöner Klettersteig, der eine schöne Aussicht das Tal hinauf und hinab bietet und dessen Name Programm ist. Man kann an diesem Klettersteig in der Tat viele Edelweiße bewundern.
Aus Florins Gruppe schaffte Gusti den kompletten Klettersteig, 2 weitere Teilnehmerinnen haben ein Stück des Klettersteigs bewältigt, bevor sie aus Zeit- und Kräftemangel den Rückzug antraten. Die unvorhersehbare Situation haben die beiden Damen mit ihrem Ausbilder super gemeistert. Sie entschieden sich für die schnellste Abstiegsvariante und seilten sich aus dem Klettersteig ab, da Florin ein Seil dabeihatte. Eine tolle Leistung, zum einen zu erkennen und zu akzeptieren, dass es im Moment zu viel oder zu schwer ist, und zum anderen das Erlernte gleich in die Praxis umzusetzen und somit vorzuführen, wie man sich aus einer brenzligen Situation befreien kann. So eine Entscheidung erfordert Mut, Achtsamkeit und gesunden Menschenverstand.
Den Sonntag gingen wir gemütlich an, denn in der Tat hatte sich das Wetter verschlechtert. Jeder konnte bis 11 Uhr tun wozu er Lust hatte. Manche wanderten ein Stück Richtung Rinnenspitze, andere das Tal am Alpeiner Bach hinauf und die Kinder bevorzugten es in der Hütte gemeinsam Karten zu spielen. Mittags machten wir uns alle gemeinsam auf den Weg ins Tal zur Oberissalm, wo wir noch eine Weile zusammensaßen und uns austauschten, bevor sich jeder auf den Heimweg machte.
Die 6 Jungs haben das Miteinander sehr genossen und neue Freunde gefunden. Am meisten hat ihnen das Abseilen gefallen. Jakob, unser jüngster Teilnehmer, hat am Samstagabend seiner Mutter freiwillig nochmal die Knoten vorgeführt – so sehr hat es ihm gefallen! Die Kinder fanden es schade, dass sie die Klettersteige nicht machen konnten, aber alle kommen gerne wieder mit!
Hans und Miro haben die Kinder für ihre Mitwirkung, ihr Interesse und Geschick gelobt und ihnen eine Urkunde versprochen, die nachträglich jedes Kind per Post bekommen soll.
Des Weiteren haben die Trainer, den respektvollen Umgang der Jungs während des Kurses hervorgehoben. Sie haben es selbstverständlich und kommentarlos akzeptiert, wenn einer von ihnen an seine Grenze gestoßen war und eine Übung nicht machen konnte oder wollte. Mit diesen gemeinsamen Unternehmungen lernen unsere Kinder zusätzlich Teamgeist, Achtsamkeit und sich in eine Gruppe einzufügen. Das sind nach wie vor wertvolle Werte in unserer Gesellschaft.
Diese Mischung von Jugendlichen und Erwachsenen in einem Kurs stellt sich als Bereicherung heraus. Wenn man sich bestimmte Momente in Erinnerung ruft, zeigt sich, dass sich Erwachsene und Kinder in ihrer Motivation, ihrer Leistung, im Teilen der Freude voneinander anstecken ließen. Das brachte „frischen Wind“ in den Kurs und kann gerne in ähnlicher Form wiederholt werden.
Der Kurs hat auch allen Erwachsenen viel Freude bereitet. Wir haben alle viel gelernt, uns weiterentwickelt und uns bei unseren Ausbildern sicher und wohl gefühlt.
Sabina schrieb: „Ihr Ausbilder habt mit viel Geduld und Verantwortung euren wertvollen Wissensschatz weitergegeben, vielen, vielen Dank! Bei all dem Spaß, es ist überhaupt kein leichter Job, den ihr da macht.“
Brigitte schrieb: „Ich merke, dass sich mit den Anforderungen jedes Mal meine persönliche Grenze ein Stück verschiebt. Hätte ich kein Vertrauen in die Ausbilder, würde ich es nicht wagen Dinge auszuprobieren vor denen ich Respekt habe oder die mir unbehaglich sind. Großes Lob an euch Trainer! Ihr strahlt Können, Geduld, Vertrauen und Freude am Weitergeben eurer Erfahrungen und Wissens aus. Das ist echt top!“
Hans, unser Ausbilder schrieb: „Was kann ich da noch sagen? Ich finde es auch immer toll, wenn ich die großen Fortschritte der Teilnehmer sehen kann. Ein großes Aha-Erlebnis kommt immer, wenn die Leute sehen mit wie wenig Material man sooo viel machen kann. Ihr seid eine tolle TRUPPE! Ich würde mich sehr freuen – wenn ihr weitere Schritte im Bergsport macht … bleibt dran, traut euch, die Basics beherrscht ihr! Ein DANKESCHÖN geht an Florin und Klaus! Ohne ein gut funktionierendes Team würde sowas nie gelingen.“