Wenn wir darüber nachdenken, was uns Menschen eine tiefe Beziehungsaufnahme zur Natur ermöglicht, so werden nicht wenige sagen, das Bergsteigen gehört auf jeden Fall dazu. Wer einmal den „Flow“ erlebt hat, wird die Sehnsucht danach immer in sich tragen. Obwohl wir wissen dass da oben meistens nur ein Kreuz steht, treibt es uns an, immer wieder und wieder auf den Gipfel zu steigen.
Am 9-ten September folgten wir erneut der Sehnsucht und machten uns auf den Weg ins Ötztal. Unter der Leitung von Hans Werner (Karpatenwolf) war das Wochenende mit Ausbildungsinhalten zur Gletscherbegehung, Knotenkunde und Seilschaften gut durchgeplant. Schließlich wollten wir am Sonntag auf den 3278 m hohen Fernerkogel.
Über die Ötztaler Gletscherstraße erreichten wir am Freitagnachmittag den Parkplatz am Rettenbachferner, wo sich unsere Gruppe aus altbekannten und neuen Gesichtern herzlich begrüßte. Bei angenehm frischem Wind wurden die Rucksäcke gepackt und das Material bereitgestellt. Über eine steile Passage ging es nun bergauf. Der Weg führte uns zur Braunschweiger Hütte, die wir gut gelaunt nach etwa 2 Stunden erreichten.
Am Samstagmorgen hatten wir den ersten Kontakt mit dem Gletscher, der aus der Ferne wie ein schmutziger weißer Lappen zwischen den Berghügeln hängt. Fast harmlos erscheinen die Muster aus hellen und dunklen Streifen die sich längs und quer über die Oberfläche ziehn. Und je mehr wir uns dem “Lappen” näherten desto größer wurde er, oder wurden wir kleiner? Es wird merklich kälter, das Licht ändert sich, der “Lappen” zieht sich verdammt steil hinauf und offenbart nach ein paar Metern die erste Gefahr. Hier hat man keine Lust hinzufallen, es würde schnell, unangenehm und schmerzhaft.
Mit Steigeisen und Pickel übten wir verschiedene Techniken die uns mit diesem geschundenen “Lappen” vertraut machten. Bergauf und bergab rammten wir die Spitzen in die Oberfläche, bohrten Löcher, setzten Karabiner und seilten uns ab. Es ging quer und längs, hoch und runter, hin und her. Sogar “Sanduhren” wurden gebaut, obwohl es weit und breit keinen Sand zu sehen gab. Die Zeit verging, die Sonne schien und wir hatten Spass. Ein Konglomerat aus Deutsch, Englisch, Rumänisch und Siebenbürgersächsisch erheiterte die Runde. Die gute Laune der Teilnehmer setzte sich am Abend fort, in gemütlicher Runde wurde gegessen, getrunken, erzählt und gelacht. Das ansteckende Lachen unserer angehenden Bergführerin Cosmina hielt uns bei Laune.
Nach einer kurzen Nacht standen wir am Sonntagmorgen auf der Terrasse der Braunschweiger Hütte und waren bereit für die Tagestour. Der Morgennebel lichtete sich und bald zeigten sich die Bergspitzen im Sonnenlicht. Unser erstes Ziel führte uns an den Fuss des Gletschers, wo wir die Steigeisen anlegen und nicht benötigtes Material zurücklassen konnten. In zwei Seilschaften und mit leichtem Gepäck ging es nun über das Eis steil bergauf. Bald gingen wir an Gletscherspalten vorbei, oder mußten sie mit einen großen Schritt überqueren. Mit Ehrfurcht und Respekt schauten wir in die schier endlose Tiefe, gut dass wir durch die Seilschaft gesichert waren. Nach etwa 2,5 Stunden erreichten wir alle den Gipfel und strahlten mit der Sonne um die Wette.
Ziemlich temporeich ging es danach wieder zurück, wobei ein ums andere Mal ein Fuss ins leere trat und die Gefahr auf dem Gletscher offenbarte. Hier zeigt sich wie wichtig die Seilschaft ist und welche Verantwortung jeder für jeden trägt. Die letzte Passage vor unserem Materialdepot meisterten wir alle souverän und konnten bald die Steigeisen abschnallen. Nach einer kurzen Pause nahmen wir den restlichen Weg in Angriff und meisterten den steilen Gegenanstieg und die letzten Hürden vor dem Parkplatz. Ein kleiner Ausrutscher auf den letzten Metern mit anschließender Rettungsaktion durch Hans Werner, bescherte dem jüngsten Teilnehmer noch ein paar harmlose Schürfwunden.
Wieder im Tal, erzählten wir bei Pizza und Pasta unsere Eindrücke und schauten hoch zum Berg, wo sich inzwischen Wolken gebildet hatten. Noch vor ein paar Stunden waren wir da oben? Unglaublich! Danke an Hans Werner, Cosmina und all die anderen, durch die lockere und humorvolle Art macht es immer wieder Freude mit ihnen auf den Gipfel zu steigen.
Helmut Fernolendt