Der gemeine Alpinkletterer hat bisweilen bereits von einer Südtiroler Spezialität im Standplatzbau gehört, dem Südtiroler Stand.
Just zu dem Zeitpunkt in dem dieser mehr Raum in meinem Leben einnahm, entdeckte ich die Ausschreibung zu dieser Führungstour und der Weg über wenige Klicks zur Teilnahme war schnell beschritten.
Die charakteristischen, eindrücklichen und schroffen Dolomiten, die Sellagruppe, bisher für mich nur vom MTBen, Skifahren und Klettersteigen bekannt, lockten mit Vehemenz.
Andrei Stefan, der die Tour ausgeschrieben hatte, versorgte uns in der Woche zuvor zunehmend mit allen notwendigen Informationen. So fanden wir uns am Donnerstagabend auf dem Campingplatz in Colfosco, zu deutsch ‚Kolfuschg‘ – die mehrsprachigen Ortsnamen sind dem Siebenbürger ja nichts Neues, daher sei der Vollständigkeit halber auch der ladinische Name ‚Calfosch‘ erwähnt – dem höchstgelegenen Ort des südwestlichen Zweigs des Gadertals.
Persönlich getroffen haben wir uns an diesem Abend nicht mehr, da einige Teilnehmer zum ursprünglich vereinbarten Zeitpunkt noch irgendwo in der Marmolada hingen und mit Abseilen zubrachten.
Kennenlernen und die Planung für den Tag war daher direkt der erste Punkt des Freitags, der ebenso wie das Frühstück schnell abgehakt war, so dass wir bald Richtung San Cassiano und Kleinem Laguzoi aufbrechen konnten.
Hier trafen wir Mihai, der uns bis Samstag begleiten würde. Neben dem Parkplatz befindet sich der eindrucksvolle ‚Werk Tre Sassi‘, einem Festungsbau, der Teil der österreich-ungarischen Sperrkette gegen Italien darstellte und eines der interessantesten Zeugnisse der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg ist. Es wurde von den Italienern bereits 1915 in Schutt und Asche gelegt, eine Kriegslist liess sie jedoch bis zum Ende des Krieges an die volle Gefechtsbereitschaft des Standorts glauben. Heute ist das Festungswerk restauriert und beherbergt ein Museum. Dieses liessen wir aber links liegen und stiegen der ‚Giordana-Führe‘ zu, 1988 von E. Cipriani und G. di Sacco erstbegangen, einer 6SL-Kletterei im IV. Grad.
Flott legten wir den Gurt an, zogen die Kletterschuhe an, den Helm auf, und banden uns ein.
Wie wir sehr kurzfristig erfuhren, brauchten wir ausser diesen Utensilien kein Material, da es als Teilnehmer nur unsere Aufgabe war, den Führern, Andrei und Mihai, hinterherzusteigen, ggf. zu sichern und natürlich sammelte man als Nachsteiger noch das in der Wand hängende Material ein.
Unbewusst haben wir all-inklusive gebucht. Mit diesem Service kann man sich natürlich ebenso leicht anfreunden, wie man ohne das ganze Klimperzeug am Gurt klettert. Aufgrund der einfachen Route war es nicht so wichtig, ob man einen Meter weiter rechts oder links klettert – es waren in jedem Fall genügend Griffe und Tritte zu finden. Die Standplätze, die hier wie eingangs angedeutet eine kleine Besonderheit darstellen, waren bereits eingerichtet bis unsereins ankam. Man musste keine Route mehr suchen – ebenfalls eine Spezialität, da in den Dolomiten eben vieles nicht plaisiermässig abgesichert ist, sondern selbst mobil eingerichtet werden muss, wenn nicht wenigstens die eine oder andere Schlinge in Sanduhren hängt und somit auch als Wegweiser sichtbar ist, anders als die Schlaghaken, die man zumindest an manchen Standplätzen findet. Wenn überhaupt, die optische Wahrnehmbarkeit dieser meist rostigen Relikte vergangener Kletterzeiten in ihren Ritzen und Ecken unterscheidet sich ja leicht von alle 4 oder 5m in der Wand angebrachten, blinkenden Edelstahlbohrhaken…
Das Rundum-Sorglospaket sollte soweit gehen, dass wir nach dem Ausstieg oben erfuhren, dass wir nichtmal abseilen müssten, sondern geschmeidig abgelassen werden.
Da die Abseilerei über beide Seilenden möglich war, also eine/r wurde runtergelassen, derweil wanderte das andre Seilende nach oben, woran sofort der/die Nächste abgelassen werden konnte, waren wir flott alle wieder unten und konnten nach einem Kaffee und einigen Einkäufen zurückfahren und am Campingplatz einrücken, wo wir den Abend bei zunächst einsetzendem, dann aber heftigem Regen beim Grillen verbrachten.
Der Samstag begrüsste uns mit ähnlich indifferenter Wetterlage, so dass wir zwar den Plan, am 1. Sellaturm die Route ‚Freccia‘ zu klettern umsetzen wollten, jedoch kein Risiko eingehen mochten, dass uns ein Gewitter im Rücken der bestiegenen Wand überraschte.
Das war in der gewählten Route problemlos, da wir mehrere Möglichkeiten, vor Erreichen des Tops auszusteigen und abzuseilen, hatten.
Schon beim Zustieg wurde zudem schnell klar, dass wir uns den Platz und die Routen mit gut 20 Leuten der Bergrettung Südtirol teilen würden, die dort eine Prüfung abhielten.
Da das Gelände jedoch insgesamt relativ einfach war, war es kein Problem, denen mehrere Routen zu überlassen, wo sie ihre verschiedenen Inhalte abprüfen konnten.
Wir stiegen derweil nach der 4. Seillänge tatsächlich aus und seilten ab – keineswegs zu früh mithin, da es zu regnen begann. Auf dem Rückweg zum Campingplatz entschlossen wir erstmal für einen Kaffee und einen Imbiss im Malga del Sella, von wo wir ausserdem die Möglichkeit eines kurzen Zustiegs zu diversen Übungsrouten und -felsen hatten.
Die nahmen wir dann auch nach einer tüchtigen Stärkung wahr und vergnügten uns bei stellenweise leichtem Nieselregen an einem nahegelegenen Felsen gradmal 50m über die Wiese, genauer Kuhweide, der Felsriegel lag nämlich im Wohnzimmer des (Rätischen) Grauviehs, das alsbald unsere abgelegten Rucksäcke als Delikatesse zu degoustieren versuchte und erst nach ausdrücklichem Widerspruch unsererseits davon abliess.
Da unsere Kletterdurst nach einer Weile, jedoch am noch nicht sehr weit fortgeschrittenen Nachmittag gestillt war, unternahmen wir auf dem weiteren Rückweg zum Campingplatz kurzerhand noch einen kleinen Spaziergang unterhalb der Grossen Cirspitze mit einer Einkehr in der urigen Jimmy-Hütte neben der Bergstation der Frara-Seilbahn.
Das Wetter hatte wieder deutlich aufgeklart, so dass wir sogar draussen sitzen und unser Bier in der angenehmen Nachmittagssonne geniessen konnten.
Da der Campingplatz nach unserer Rückkehr immer noch etwas aufgeweicht war, sah der Abend uns im nahegelegenen Ort in der Pizzeria Black Hill (irgendwie nicht so der typische, italienische Name, jedoch ganz im Gegensatz zum Speisenangebot) um Einlass bitten.
Da nicht alle durchgeimpft waren, mussten wir trotz nun wieder etwas trüberer Witterung draussen platznehmen, hatten aber im zeitweise einsetzenden Nieselregen ein gemütliches, trockenes Plätzchen unter einem grossen Schirm.
Nach einem hervorragenden Abendessen spazierten wir zurück zum Campingplatz und nahmen dort noch einen Absacker, ehe wir in unseren diversen Zelten und Autos in die Schlafsäcke krochen.
Der Sonntag war bereits wieder Abreisetag. Trotz weiterhin sehr wechselhaftem Wetter mit Gefahr von Regen und Gewitter, wollten wir aber noch etwas klettern.
Mihai hatte uns auch bereits am Samstagnachmittag verlassen, so lag der Gedanke nahe, erneut in der Nähe der Malga del Sella unser Heil zu suchen, wo wir einerseits eine grosse Auswahl unterschiedlicher Routen aller Schwierigkeitsgrade vorfinden würden, andererseits Andrei uns alleine betreuen konnte und wir zudem eine schnelle Rückzugsmöglichkeit in Richtung Gastronomie mit trockenen Sitzplätzen haben würden.
Alle stimmten diesem Plan zu und wir brachen zur Citta dei Sassi, der ‚Steinernen Stadt‘, einem gigantischen Felssturz vor hunderttausenden vor Jahren, der hunderte Felsblöcke in die Landschaft gewürfelt hat, auf.
Der Vormittag hier war natürlich auf jeden Fall in erster Linie dem Klettern gewidmet, jedoch konnten wir hier auch hervorragend und ohne Absturzgefahr Standplatzbau üben, Umfädeln, Abseilen usw., quasi alles, was in den vergangenen Tagen unsere Führer für uns erledigt hatten.
Viel zu schnell ging die Zeit vorbei und wir kehrten auf dem Rückweg zum Auto noch einmal in der Sella-Alm zum Mittagessen ein.
Leider war die Schlemmerei hier auch schon der letzte Programmpunkt, ehe am Nachmittag die Abreise bevorstand.
Ein begeisterndes langes Wochenende in einer ebenso begeisternden Landschaft mit tollen Klettereien und letztlich grossem Wetterglück ging zu Ende!
Fotos: Dagmara, Mihai und Andreas