
Es liegt im Wesen des Menschen immer neue Herausforderungen zu suchen, um emotionale Momente zu erleben, um sich weiter zu entwickeln, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu schöpfen. Dass die Ansprüche die man an sich stellt immer höher werden, ist auch klar. Deshalb war mein Ziel, in Chamonix in Frankreich besonders anspruchsvolle Berge zu besteigen, doch wegen den Corona Reiseeinschränkungen, wählten wir neue Ziele in der Schweiz: Piz Palü Ostpfeiler, Eisklettern in Sertigtal, Wienerroute am Fletschhorn NW, Skitour auf das Bishorn, Skitour Petit Combin & Combin de Corbassiere. Tourenski, Steigeisen, Eisgeräte und Seile gehörten zur Standartausrüstung. In den 17 Tagen, die ich mit meinen Bergwachtkollegen Julian und Markus verbrachte, erlebten wir so ziemlich jede Emotionslage, die das Bergsteigen auslöst, viele freudige Momente, Stolz, Zufriedenheit aber auch Überraschungen, Müdigkeit und Verzicht. Die richtigen Entscheidungen zu treffen waren der Schlüssel für eine gesunde Heimkehr.
Geplant hatten wir dieses Vorhaben schon lange und waren uns bewusst über die konditionellen und technischen Herausforderungen. In der Vorbereitung war ich mit meinen spanischen Kollegen, allesamt Mitgliedern der Sektion Karpaten, auf mehreren Skitouren und bewältigten 10.000 Höhenmeter. Julian tat das Gleiche in den Berner Alpen. Also, die Vorbereitung lief gut, die Stimmung optimistisch und das Wetter? Na ja… April macht was er will. Zwei Wochen vor dem Start Anfang April 2021, prognostizierte die Wettervorhersage viel Schneefall voraus, das bereitete uns leichte Sorgen, weil hochalpines Klettern in Nordwände geplant war.
Piz Cambrena 3606 m
Dann war es endlich soweit! Am Abend des 7.April erreichte ich mit Julian den Parkplatz Diavolezza, in Engadin. Nach fünf Stunden Schlaf, um 5:30 Uhr starteten wir in Richtung Berghaus Diavolezza mit dem Ziel, Piz Palü über den Ostfeiler zu erklimmen. Um 8 Uhr erreichten wir das Berghaus. Es war sonnig, aber sehr windig, bis 70 km/h und richtig kalt, -20 Grad in Gipfelhöhe. Was nun? Wir waren uns schnell einig, bei diesen Bedingungen ist eine Besteigung des Ostpfeilers zu riskant. Somit planten wir um und bestiegen an diesem Tag einen selten bestiegenen Gipfel. den Piz Cambrena, über den Nordwestsporn. Dieser ist im Vergleich mit Ostpfeiler einfacher, weil er nur ganz wenige Kletterstellen bis zum Schwierigkeitsgrad IV hat, aber wunderschöne Eisflanken bis zu 50° steil. Zum ersten Mal an diesen Tagen erfreute uns die weite Aussicht auf die verschneiten Gipfel.

Ostpfeiler Piz Palü 3901 m
Ausrüstung: Kletter-Gletscher- und leichte Skitourenausrüstung
Nach einer sehr gemütlichen Nacht in Berghaus Diavolezza, wo wir uns nach den 2300 hm des Vortags gut erholt haben, sind wir um 6:30 Uhr Richtung Piz Palü losgegangen. In der Beschreibung ist der Ostpfeiler, der 1899 zum ersten Mal bestiegen wurde, mit 5-7 Stunden ausgeschrieben, allerdings in den Sommermonaten, in denen weniger Schnee hier liegt. Es wurde für uns ein sehr langer Tag, mit einer unerwünschten Überraschung am Ende der Tour. Mit den Skiern auf dem Rucksack geschnallt und ständig mit den Steigeisen an den Füssen, stiegen wir durch die schneebedeckten Flanken nach oben. Im hochalpinen Gelände am fest- und griffigen Felsen im vierten Schwierigkeitsgrad haben wir das hochalpine Klettern genossen. Nach 10 Stunden konnten wir auf dem Gipfel des Piz Palü 3901 m die Arme zum ersten Mal gegen den Himmel strecken.
Die Skiabfahrt ging schnell. Die wunderschönen Kulissen der umliegenden Gipfel, aus der die Wolken aus dem Wetterbericht nicht fehlten, begeistern uns. Beim Berghaus Diavolezza machten wir eine Pause und weil die Pisten Bullis die Skipiste präpariert hatten, war die Nachtabfahrt ein Genuss. Nach 2000 abgefahrenen Höhenmeter und 14 Stunden auf den Beinen, kamen wir an Julians Bus an und waren voller Vorfreude endlich die Skischuhe auszuziehen und die Kleidung zu wechseln. Doch Pustekuchen! Der Autoschlüssel war weg, der Parkplatz auf 2000 Hm leer, die Temperatur -13°C. Aber alles ist gut solange die Stimmung gut ist. Ich fand einen Raum, der zu einer kleinen Bahnhaltestelle gehört, in dem es angenehm warm war. Als ich die Rücksäcke holte, war die Tür zu meiner großen Überraschung zugeschlossen. Diese sperrt sich jede Nacht um 21:52 automatisch zu (Schweizer Genauigkeit). Zum Glück fanden wir nach kurzer Zeit einen anderen ungeheizten Raum, in dem wir die Nacht verbrachten. Hier war es immerhin ein bisschen wärmer als draußen. Kälte, Durst und Hunger begleiteten uns durch die Nacht. Auch solche unangenehmen Situationen gehören zum Bergsteigen. In der Früh wurden wir von zwei Allgäuer Bergsteiger, Daniel und Fabian (Daniel und Fabian – canyonig-erleben.de), die die Piz Palü Überschreitung machen wollten, zum Frühstück eingeladen. Endlich einen heißen Tee und etwas zu essen. Es gibt sie noch, die Kameradschaft!


Den Autoschlüssel fand Julian an diesem Tag im Lager der Diavolezza Hütte.
Die nächsten zwei Tage waren wir Gäste bei unserem Bergkammeraden Lucas in Schiers, Davos. Er ist auch Mitglied der Bergwacht München, arbeitet aber in der Schweiz. Hier erholten wir uns, gingen zusammen Eisklettern ins Sertigtal und übten die Selbstrettung aus der Gletscherspalte von dem Balkon eines Hauses. Einen herzlichen Dank an dieser Stelle.
Beim Eisklettern in Sertigtal

Winterbesteigung Fletschhorn NW (S+, 55°) 3993 m
Ausrüstung: Kletter-Gletscher- und leichte Skitourenausrüstung. Für Biwak: Kocher, Gas, Schlafsack.
Der April macht was er will, diesmal in unserm Sinne, weil die Wetterprognose sich komplett änderte, und zwar versprach sie für die kommenden Tage sehr gutes Wetter. Am 13.04 stieß Markus zu uns. Zu dritt stiegen wir zum Bivacco Piero de Zen (3012 m), der Stützpunkt für die Routen, auf. Ein atemberaubend gelegenes Biwak mit maximal 9 Plätzen. Eine enge Angelegenheit da wir bereits mit drei Personen den Raum füllten.

Kurz vor dem Sonnenaufgang starteten wir. Die Winterroute verläuft auf der Nordwand des Fletschhorns und ist als schwierig eingestuft (S+). Die Tour beginnt mit der Querung eines Hanges nach Süden bis zum Karboden. Die Eiswand sah im oberen Bereich ziemlich blank aus, Zweifel, ob wir unter diesen Bedingungen den Gipfel erreichen würden, machten sich breit. Unsere Zweifel verflogen je höher wir in den 45-55° steilen Hängen mit unseren Eisgeräten stiegen. Julian war gut in Form und spurte wie eine Maschine die ganze Flanke. Im letzten Teil der Wand kam das Seil zum Einsatz, weil wir durch felsiges Gelände kletterten. Ich durfte mit der Wechte kämpfen, um den Weg auf den Gipfel zu ebnen. Es lief gut, in drei Stunden waren wir oben. Am Anfang des 20. Jahrhunderts, hatte das Fletschhorn noch eine Höhe von 4000 m, heute sind es sieben Meter weniger. Die strahlenden Gesichter verrieten die Gipfelfreude. Die Spannung blieb uns allerdings erhalten, weil der Rückweg vor uns stand und der war diesmal schwierig. Ein „hässlicher“, brüchiger Grat mit viel Geröll forderte unsere Nerven und Konzentration.



Es folgte ein Erholungstag am besten Platz in der Nähe des Simplonpasses, in dem Simplon-Hospiz, das größte Passhospiz der Alpen. Napoleon Bonaparte ließ von 1800 bis 1805 die erste befahrbare Passstraße der Alpen über den Simplon bauen. 1801 befahl er, auf der Passhöhe ein Hospiz zu bauen, das auch als Kaserne zu dienen habe. Heute wird das Hospiz von den Chorherren geführt und dient als Begegnungshaus, mit sehr günstigen Übernachtungspreisen.
Skitour auf das Bishorn
Ausrüstung: Kletter- und Skitourenausrüstung. 60m Doppelseil und 2 Eisgeräte für Zustieg auf dem Gletscher.
Nach der Tour ist vor der Tour, die Entscheidung für den nächsten Gipfel fiel auf die Bishorn Nordwand, da es dort in den letzten Tagen am wenigsten geschneit hatte. Die Reservierungen für den Stützpunkt, die Turtmannhütte, war eine knappe Angelegenheit. Der Hüttenwirt ließ die kleine, aber sehr wichtige Information aus, dass, das Turtmanntal gesperrt ist. Deshalb mussten wir ein Tal weiterfahren, nach Val d’Anniviers und von dort den Anstieg über das Skigebiet im Saint Luc bewältigen. Eine aufwendige Geschichte, mit Seilbahnen und Schleppliften. Hier hatte es viel geschneit, sodass wir auf Plan A (die Nordwand) und Plan B (Ostgrat) verzichten mussten und Plan C (Normalweg) umsetzten. Bergsteigen bedeutet auch Verzichten! Doch von der Turtmannhütte zum Normalweg war es ein langer Weg mit letztendlich 2200 Höhenmeter bis zum Gipfel. Die letzten 1000 Höhenmeter sind wir mit leichtem Gepäck hochgestiegen, die Kletterausrüstung ließen wir in der Cabane de Tracuit zurück. Die vielen Trainingseinheiten kamen mir auf dieser Tour auch zu Gute.


Petit Combin & Combin de Corbassiere
Ausrüstung: Leichte Gletscher- und Skitourenausrüstung
Die nächste Tourenplanung führte uns zum Cabane FXB à Panossière, wo wir die Trilogie der Grand Combin Gipfel vorhatten. Auch diesmal mussten wir umplanen. Auf der Hütte trafen wir Florian, ein Bergführer und Ausbilder beim DAV, bei dem einige Mitglieder der Sektion Karpaten in der Ausbildung waren. Er riet uns auf den Grand Combin zu verzichten, da die Bedingungen im „Corridor“ sehr schlecht seien. Der nächste Tag begann in der Nacht um 2:45 Uhr. Wir wagten den Zustieg zum Grand Combin, doch beim Einblick in die Route wurde uns schnell klar, dass wegen der blanken Nordflanke ein Aufstieg zu gefährlich ist und auch der Abstieg im „Corridor“ (ein gewaltiger Gletscherbruch) mit großen Risiken verbunden wäre. Somit entschieden wir uns, eine Skitour auf andere zwei Gipfel den Petit Combin & Combin de Corbassiere zu machen. Die Abfahrt in den idealen Schneebedingungen „Powder“, unten hart, oben weich, leis unsere Bergsteigerherzen jubeln.



Unsere letzte Station war die Bernina Gruppe, diesmal auf die andere Seite des Biancograts. Nach zwei Wochen fühlten wir uns schon ziemlich müde, aber wir wollten noch den Piz Scerscen besteigen. Nach einer Nacht im Winterraum des Tscherwahütte begannen wir den Aufstieg, aber der viele Schnee vor dem Einstieg in die Kletterpassage des Piz Scerscen Nordwestsporn bremste unser Vorhaben. Wir brachen die Tour ab, mit der Gewissheit, dass der Berg auch in Zukunft dort bleibt wo er ist und uns im Sommer eine zweite Chance schenken wird.
Nach den vielen erlebnisreichen Tagen freuten wir uns sehr auf dem Heimweg, um unsere Lieben wiederzusehen und die Freude zu teilen. Im Gepäck die vielen spannenden Momente, Freude und Leid, die Winterberglandschaften, die Gewissheit, dass sich hartes Training lohnt, sowie das gute Miteinander mit meinen Bergwachtfreunden Julian und Markus. Obendrauf die Zufriedenheit mit uns selbst.