

Ohne Frage, die Zugspitze hat auf viele Menschen in Europa und auch Übersee eine magische Anziehungskraft. Man steht schließlich auf dem höchsten Punkt Deutschlands – und das für die meisten ohne körperliche Mühen. Leicht kommt man nach oben und auch wieder nach unten. 2 Seilbahnen und 1 Zahnradbahn führen die Bergbegeisterten auf ein zugegebener Maßen verbautes unschönes Gipfelplateau. Und wie steht es mit uns? Mit den Bergsteigern? Ja, auch diese stehen im Bann dieser einen Tatsache, den höchsten Punkt Deutschlands zu besteigen. Nicht mit der Seilbahn, sondern mit eigener Muskelkraft. Hierzu stehen ihnen ebenfalls, wie bei den künstlichen Aufstiegshilfen auch, sehr viele Wege offen: einer führt übers sogenannte Gatterl nach oben. Eine weitere Möglichkeit bietet die über etwas mehr als ein Halbmarathon messende, deutlich mühsamere Wegstrecke durchs Reintal. Beide Wege sind technisch einfach, nicht stark überlaufen und bieten dennoch hochalpines Gelände fürs Wanderauge. Dann kommen 2 weitere Wege hinzu: der technisch recht leichte Klettersteig über die Wiener Neustädter Hütte (auch Stopselzieher genannt) und der berühmteste Anstieg übers Höllental, den ich hier etwas ausführlicher beschreiben möchte.
In der Tat ist der Weg zur Zugspitze übers Höllental nicht der Originalweg der Erstbesteigung gewesen. Die Erstbesteigung am 27. August 1820 durch den jungen Leutnant und Vermessungsingenieur Josef Naus ging über das Reintal zum Gipfel.

Die Besteigung übers Höllental mit seinen 2200 Höhenmetern bietet für bayerische Verhältnisse eine Abwechselung an alpinen Erlebnissen, wie man sie sonst nirgends in diesem Land findet. Los geht es mit dem tosenden Hammersbach und einer Klamm, die seinesgleichen sucht: wild, spektakulär, nass und für DAV-Mitglieder 2 EUR Eintritt. Da tun die 10 EUR am Parkplatz in Hammersbach sicher mehr weh. Nach der Klamm heißt es zügig weitergehen, da Steinschlag droht. Ob das den vielen Besteigern heute so bewusst ist, dass es hier direkt am Klammausgang schon einigen Alpinisten das Leben gekostet hat? Wir schreiben den 02.07.22, 7 Uhr. Es ist mal wieder soweit. Wie jedes Jahr seit 1999 geht es gut geplant auf Deutschlands höchsten Berg, denn das Wetter ist stabil vorhergesagt. Es ist allerdings Wochenende. Wie ich es schon aus den letzten 22 Jahren kenne, eine günstige Ausgangslage für eine Bergtour, die aber für die Zugspitze Massenansturm bedeutet. Das hat sich bereits auf dem Parkplatz angekündigt, der trotz der 10 EUR Parkgebühren um 6 Uhr schon rappelvoll ist. Noch entzerrt sich der Besucheransturm auf Klamm und Höllentalangerhütte, welche die ersten Anlaufpunkte sind. Mit gehörigem Respekt vor den 2200 Höhenmetern, geht es dann schnell weiter nach oben, nachdem der Wirt auf der Höllentalangerhütte uns zu so früher Stunde nichts verkaufen konnte. Schnell ist der Beginn des ersten Klettersteiges erreicht. Hier wird dann das erste Mal klar: wir gehen nicht auf irgendeinen Berg, wir besteigen die Zugspitze. Erste Staus gibt es vor der Leiter und dem Brettl: die einen weil sie leichte Panik vor Höhe und Klettern haben, die anderen, weil sie Fotos für sich und ihre Lieben zu Hause machen und diese auch noch gleich im Steig posten möchten. Es ist wie es ist. Ich kenne es. Ich habe mich darauf eingestellt und weiß, dass ich die wunderschöne alpine Landschaft direkt vor meiner Haustür mit Hunderten von Bergsteigern an diesem Tag teilen muss. Nach dem Brettl geht es bis zum grünen Buckel weiter. Die Karawane zieht weiter und entzerrt sich kurz mal wieder. Man könnte fast meinen, es wird doch nicht so schlimm mit dem Betrieb. Allerdings pausieren erste ziemlich erschöpfte Menschen links und rechts des Weges, in deren Gesicht man oft ablesen kann: „Wie weit ist es denn noch?“. Die Antwort wäre auf dem grünen Buckel: Die Hälfte der Höhenmeter ist geschafft!

Die zweite Hälfte beginnt dann mit einer Schotterwüste, die dann auf dem einzig verbliebenen noch lebendigen Gletscher Deutschlands endet: Der Höllentalferner ist erreicht und bei vielen Bergsteigern auch das Ende ihrer körperlichen Leistung. Jetzt geht das Drama in eine neue Runde: Bergsteiger mit Halbschuhen und ohne Steigeisen kommen mit der rutschigen Masse unter ihnen nicht klar. Andere verlieren ihre Steigeisen beim Gehen auf dem Eis weil sie nicht wissen, wie man das Gerät anzieht. Wieder andere sind genervt über die Erstis auf dem Eis. Damit ist aber ganz schnell Schluss, weil es zum Rückstau beim Einstieg in den Klettersteig kommt. Man muss genauer sagen: Vor dem 3. Einstieg. Der erste ist seit 15 Jahren nicht mehr zu nutzen weil der Höllentalferner soviel Eismasse verloren hat, dass man die Eisenleiter nicht mehr erreicht. Ein Zeuge des fortschreitenden Gletschersterbens. Als ich 1999 den Einstieg zum zweiten Klettersteig betreten habe, konnte ich mühelos diese Eisenleiter vom Gletscherrand erreichen,- heute liegt sie unerreichbar 10m über dem Eis und wird nie wieder zu nutzen sein. Die beiden neuen Einstiege sind heute, Anfang Juli, noch gut zu erreichen, auch wenn sich das, wie in allen Jahren bald ändern wird: Ab Mitte Juli, durch die andauernde Gletscher- und Schneeschmelze der immer wärmer werdenden Sommer bedingt, öffnet die Randkluft ihren gähnenden Schlund und die Gletscherhöhe verringert sich zugleich. Beides macht die Tour nochmals deutlich schwieriger. Aber auch heute haben der eine oder die andere seine und ihre Schwierigkeiten mit Eis, Höhe und Klettern. In Kombination mit der schieren Masse an Menschen bildet sich ein Rückstau auf dem Gletscher, der uns über eine halbe Stunde warten lässt. Kein Problem bei der Aussicht und der Bergkulisse.
Fritz Keul – Stau auf dem Höllentalferner am Einstieg des 2. Klettersteigs (2500m) Bernd Zimmermann – Blick aus dem Klettersteig (2600m) auf den Bergsteigerstau auf dem Höllentalferner
Aber selbst nach Erreichen des Klettersteigs sind die letzten 500 Höhenmeter nur noch Stop and Go. Die Kondition einiger Bergsteiger, die ihre sportlichen Fähigkeiten deutlich überschätzt haben, lässt mit jedem Meter nach. Erste Alpinisten liegen mit Krämpfen quer im Steig, andere suchen Platz um Pause machen zu können. Und dann die Krönung des Tages: Eine Gruppe von 6 Personen, die sich vermutlich verstiegen hat, seilt sich 100m über den Klettersteig direkt in den Steig ab. Unter ihnen 50 – 80 Bergsteiger. Es fallen erste Steine. Einer schreit: „Steinschlag“. Der Erste der Abseilmannschaft hat den Klettersteig erreicht und bittet, dass nun nicht mehr weitergangen wird, damit die anderen 5 sich abseilen können. Weitere Steine fallen. Die Stimmung kippt. Man beschimpft sich gegenseitig. Die Karawane nimmt wieder Fahrt auf. Ich ziehe auch schnell unter den Abseilenden hinweg um nicht weiterem Steinschlag ausgesetzt zu sein.


Ich erreiche mit meiner Gruppe den Gipfel gegen 14 Uhr: 2 Stunden für 500 Höhenmeter und mehrere Staus zuvor. Nix Ungewöhnliches an einem solchen Tag an einem solchen Berg. Die letzten Höhenmeter dann nochmals Rückstau vom Gipfelplateau: Seilbahnbesucher wollen mit uns das Gipfelglück teilen. Insofern heißt es nochmals Geduld bewahren, bevor es dann zum goldenen Kreuz geht.


Ein Blick von dort auf das verbaute Gipfelplateau zeigt: Es ist schöner Tag mit über 200km Fernblick,- Wildspitze, Habicht und Zuckerhütl inklusive. Und natürlich mit Menschenschlangen vor dem Bratwürschtelstand des Münchner Hauses. „Geh ma lieber zu den Tirolern rüber. Da ist weniger los.“ Von wegen! Eine Gruppe von Schotten mit Dudelsäcken spielen auf dem 1938 weggesprengten Ostgipfel der Zugspitze auf.
Ach ja: da wäre dann noch die Fahrt mit der Seilbahn nach unten, wenn man nicht in die Hitze des Abends absteigen möchte: 37,50 EUR. Das macht zusammen mit den 10 EUR Parkgebühren und den 2 EUR Eintritt in die Klamm 49,50 EUR, ohne was gegessen und getrunken zu haben. Die Zugspitze hat ihren Preis!

Warum mache ich das immer noch jedes Jahr? Soll man solche Modeberge nicht besser meiden oder abbrechen, wenn es so voll wird wie dieses Mal? Meine Antwort hierzu: Das muss jeder für sich entscheiden. Wichtig aber ist, sich vorher zu informieren. Ich habe an diesem Tag gewusst, was auf mich zukommt: Wartezeiten im und am Klettersteig, unerfahrene Alpinisten auf dem Gletscher, erschöpfte Bergsteiger im Steig und natürlich kein einsamer Gipfel. Wer Letzteres sucht, ist hier falsch. Was habe ich dafür bekommen? Einer der schönsten und abwechslungsreichsten Bergtouren vor der Haustüre, eine Fernsicht, für die man sonst weit fahren muss und eine zufriedene Müdigkeit am Abend. Das muss ich abwägen. Das heißt, ich mache solche Touren nur, wenn ich weiß, dass ich durch die langen Wartezeiten vieler, zugegebenermaßen unerfahrener Bergsteiger, zeitlich und wettertechnisch nicht in Probleme gerate. Somit war es mir auch heuer wieder eine Ehre und ein ganz besonders Vergnügen gewesen, die Zugspitze, Deutschlands höchsten Berg, bestiegen zu haben. Und ich komme hoffentlich wieder, in 2023.