Vom Wanderer zum Bergsteiger – so beginnt die Beschreibung zum Grundkurs Bergsteigen der Sektion Karpaten. Und dann wieder zurück zum Wanderer? Nicht, wenn man an diesem Wochenende Mitte Juni dabei war. Er begann mit dem Aufstieg von der Oberissalm bei Neustift imStubaital zur Franz-Senn-Hütte in 2174 m Höhe. 15 Mitglieder inklusive drei Ausbildern gingen eine der ersten Kursangebote der Sektion nach der langen Unterbrechung an. Und es war auch das erste Wochenende, an dem die österreichischen Hütten wieder öffnen durften. Trotz Auflagen und dem mitgebrachten Bewusstsein, welche Zeiten uns gerade im Alltag begleiten, war in den drei Tagen nichts von der außergewöhnlichen Situation zu spüren. Denn das Gemeinschaftsgefühl und die Wissbegier auf neue Bergsteigerpfade zu gelangen waren groß.
„Bei schlechtem Wetter lernt man am meisten“, versicherte uns Ausbilder Hans Werner gleich von Beginn an. Er hatte Recht. Der zeitweise Regen, Nebel und die unstete Wetterlage haben dem Wochenende keinerlei Abbruch getan. Zunächst wurden in der trockenen Hüttenstube bei kühlem Bier und warmer Suppe Grundlagen geschaffen. Ab diesem Zeitpunkt interessierten uns nur noch der Abseilachter, der Prusikknoten oder die Berechnung physikalischer Kräfte. Obwohl nein. Letzteres interessierte uns eigentlich nicht. Während der erste Tag auf der Hütte annähernd ein Gefühl dafür vermittelte, was später am Berg oder Hang lebensrettend sein kann, ging es an den beiden anderen Tagen in die steile Realität.
Die Gruppe an diesem Wochenende setzte sich zusammen aus Bergerfahrenen, die selbst erlernte Techniken korrigieren oder vertiefen wollten, aus Wiederholungtätern, die letztes Jahr schon teilgenommen hatten (und es offensichtlich so gut fanden, dass siegleich wieder mitmachen mussten), bis hin zu uns Anfängern, die kaum Kletter- und schon gar keine Abseilerfahrung mitbrachten.Am zweiten Tag ging es ins besagte reale Gelände, das einen Mast- äähm.. Steinwurf von der Hütte entfernt war. Die wenigen Sonnenstunden, besser gesagt Minuten, gaben immer wieder den Blick auf die imposante Naturlandschaft und teils hochalpine Umgebung frei. Wir Neulinge durften zunächst an einem kleinen Felsen vorfühlen, was uns später erwartet. Denn das Highlight des Vormittags waren die Abseilübungen von einem ca. 15 m hohen Felshang oberhalb einesregenbedingt reißenden Gebirgsbaches. Für manche war es eine spannungsreiche Wiederholung von bereits Erlerntem, für einige von uns aber eine völlig neue Erfahrung. Die Überwindung, über die Kante zu schreiten und der ausgeklügelten Technik zu vertrauen, war groß, hat sich aber mehr als gelohnt. Nicht zuletzt dank dem Zuspruch, der Geduld und den ermutigenden Worten der Ausbilder und Mitstreiter, darunter besonders auch Agnieszka, Tom und Miro,wurde es ein unvergessliches Erlebnis. Weitere Abseilübungen, neue Knotentechniken, Rettungsmethoden mit dem Flaschenzug oder ein Blick in die Welt der Klemmkeile und Felshakenfüllten den langen Praxistag, der mit einem Spaziergang talaufwärts zu einem Wasserfall endete.
Die Abende auf der Hütte hatten eine sehr lustige, entspannte und vertraute Atmosphäre. Wobei sich, wohlgemerkt, die wenigsten Kursteilnehmer vorher kannten. Wer mit derSektion Karpaten schon öfters unterwegs war,weiß wovon die Rede ist. Und wer nicht, der weiß es spätestens jetzt. Was sicher genauso in Erinnerung bleibt ist die tolle Gruppe, der andauernde Spaß, die guten Gespräche und die Erklärungen für zwei völlig nervenaufreibende Spiele, die durch die Hüttenabende der Sektion kursieren.
Der dritte Tag hatte weitere Erkenntnisse im Gepäck. Wie geht man auf Schneefeldern, wie fängt man einen Sturz ab, wie fixiert man ein Seil im tiefen Schnee – die Wanderung fast bis auf die Spitze der Vorderen Sommerwand in 2677 m Höhe lieferte auch natürliches Übungsgelände. Am längsten Tag des Jahres 2020 kam man dem begehrten Weiß (und einem Murmeltier) so nah wie selten zuvor in den letzten Monaten. Die kurze schöne Bergtour über schmale Pfade hoch zum steinigen Gipfel ließen erahnen, was die Stubaier Alpen im Umkreis der Franz-Senn-Hütte sonst noch zu bieten haben.
In der Feedbackrunde zurück auf der Oberissalm und kurz vor der Abreise waren sich ausnahmslos alle Stimmen einig. Diesen Kurs kann man – auch als wiederholender oder bergerfahrener Teilnehmer (und natürlich auch als Anfänger, denn die hat Hans wohl am liebsten) – immer wieder mitmachen. Und die Konstellation der diesmaligen Ausbilder Hans, Agnieszka und Tom hat einfach gepasst. Ihre Erfahrungen und die Art uns ihr Wissen zu vermitteln haben sich hervorragend ergänzt. Dieses Wochenende hat einem vieles mitgegeben, um sich am Berg sicherer zu fühlen, hat die Neugier auf mehr geweckt und war auch zwischenmenschlich eindeutig eine Bereicherung!
Bericht von Sabina Strambu
Fotos: Miro, Hans, Thomas