
Die Karpaten haben mich schon lange fasziniert – so wild und unberührt, ein Traum für jeden Bergsteiger. Mein Bergkamerad Alex, der in Rumänien aufgewachsen ist, teilte diese Leidenschaft. Er schlug vor, die Karpaten als Alternative zu den Allgäuer Alpen zu erklimmen. Bei unserer Recherche stießen wir auf die Sektion Karpaten des DAV mit Sitz in München. Ich war überrascht, weil ich dachte, die Sektion Karpaten hätte ihren Sitz in Rumänien. Meine karpatischen Träume schienen Wirklichkeit zu werden!
Kurz darauf meldete ich mich zu dieser Veranstaltung an. Obwohl ich wusste, dass DAV-Sektionen oft ihre eigenen Mitglieder bevorzugen, war die Hoffnung groß. Die Freude war riesig, als die Bestätigung für die Reise kam! Ich zählte die Tage und Wochen bis Anfang August. Elf Bergsteiger hatten sich angemeldet, und jeder musste seine Anreise nach Sibiu (Hermannstadt) selbst organisieren. Nach einigem Überlegen entschied ich mich für den Flug von Memmingen, nur 25 Kilometer von meinem Zuhause entfernt.
Der Leiter der Sektion Karpaten, Hans Werner, hatte alles perfekt organisiert. Unsere Unterkunft in Sibiu (Hermannstadt) lag in der Nähe des Fußballstadions, aber die beeindruckende Altstadt war gut zu Fuß zu erreichen. Der erste Eindruck war überwältigend, besonders die kunstvoll ausgestellten Eisstände. Man sagt nicht umsonst, dass Sibiu zu den schönsten Städten der Welt gehört.
Montag, 4. August 2025: Ankunft und Stadtrundgang
Nachdem alle elf Teilnehmer eingetroffen waren, trafen wir uns um 8 Uhr zum gemeinsamen Frühstück. Es gab Omelett, Spiegelei, Gurken, Tomaten, Brot, Marmelade und Honig – eine stärkende und für mich etwas ungewohnte Mahlzeit.

Am Vormittag erkundeten wir die bezaubernde Altstadt. Der Obstmarkt in der Unterstadt war ein echtes Erlebnis für die Sinne. In der schlichteren Johanneskirche entdeckten wir ein deutschsprachiges Büchercafé, in dem ich mich sofort wie zu Hause fühlte. Später erfuhren wir, dass traditionelle Handwerker wie Schmiede und Zimmerleute hier Station machten, um ihr Handwerk zu demonstrieren.
Unser Abendessen im Restaurant „Hermania“ rundete den Tag ab. An den Wänden hingen sieben Wappen Gemälde, welche die 7 mittelalterlichen Burgstädte symbolisieren und der Region den Namen Siebenbürgen gaben.
Dienstag, 5. August 2025: Ausflug nach Schäßburg
Nachdem wir am Vorabend den Plan für den Tag besprochen hatten, machten wir uns auf den Weg nach Schäßburg (Sighișoara), das 82 Kilometer entfernt liegt und als Heimat des legendären Grafen Dracula gilt. Unterwegs machten wir eine kurze Rast im sächsischen Birthälm, einer historischen Siedlung, wie man sie oft in Siebenbürgen findet.
In Schäßburg angekommen, beeindruckte uns die mittelalterliche Altstadt, die wie eine Burg auf einem Hügel liegt. Unsere Stadtführung mit Peter Suciu war lehrreich und spannend. Er erzählte uns von der bewegten Geschichte der Stadt, die von vielen verschiedenen Herrschern geprägt wurde. Der Abend klang bei einem köstlichen Essen im Gasthaus Martini aus.
Mittwoch, 6. August 2025: Der Aufbruch in die Fogarascher Berge
Nach einem schnellen Frühstück holte ich endlich meinen dringend benötigten Koffer am Flughafen ab, der es tatsächlich bis nach Sibiu geschafft hatte. Jetzt stand dem Abenteuer nichts mehr im Weg!

Von Kerz (460 m) ging es mit einem kleinen Bus zum Startpunkt unserer Wanderung auf 1546 m Höhe. Der holprige Waldweg endete auf 800 m, sodass wir den Rest zu Fuß gehen mussten.


Ein Abstecher führte uns zum sehenswerten Wasserfall Serbota. Um 16 Uhr erreichten wir die renovierte Negoiu Hütte.

Unser Kamerad Wolfgang hatte Steinpilze und Pfifferlinge gesammelt, doch die Hüttenwirte wollten sie nicht zubereiten – eine schmerzliche Erfahrung für einen Pilzsammler. Die Hütte roch nach Vanille-Räucherstäbchen und die Wandbeleuchtung flackerte wie eine Flamme, was für uns Alpinisten eher ungewohnt war.
Donnerstag, 7. August 2025: Gipfelbesteigung und Bärenbegegnung
Heute stand eine Rundtour auf dem Plan: die Besteigung des Gipfels Negoiu (2535 m) und der Übergang über den Ostgrat (Kirchendach) zum Gipfel Serbota (2306 m). Das trockene Wetter war ideal. Schon nach einer Stunde entdeckten unsere „Bärensucher“ einen Braunbären am gegenüberliegenden Hang. Ich war anfangs skeptisch, aber es war tatsächlich einer.
Nach einem steilen Aufstieg über Blockschutt erreichten wir um 12 Uhr den Sattel auf 2320 m. Nach einer leichten Kletterei (Schwierigkeitsgrad I) standen wir auf dem Gipfel des Negoiu.

Der schmale, felsige Grat (Schwierigkeitsgrad II) zum Serbota war mit Ketten gesichert und bot immer wieder Klettereinlagen. Um 15:30 Uhr standen wir glücklich auf unserem zweiten Gipfel und bewunderten die rumänische Bergwelt.
Auf dem Rückweg zur Hütte kamen wir an Heidelbeersträuchern vorbei. Die meisten Beeren waren schon von Bären gefressen worden, was uns beruhigte, denn wo die Bären satt sind, ist der Weg sicher. Nach einer neun stündigen Tour freuten wir uns auf den nächsten Tag, der noch besseres Wetter versprach.
Freitag, 8. August 2025: Auf dem Weg zum Balea Lac
Nach einem zeitigen Start um 9 Uhr erreichten wir nach einer Stunde die Rinne „Strunga Ciobanului“, die mit Ketten gesichert ist. Dank meiner Klettererfahrung war diese Passage kein Problem. Auf unserer Tour umrundeten wir den Negoiu-Gipfel und sahen ihn von einer ganz neuen Seite.

Wir kamen an einem Karsee, dem “Lac Caltun” (2135 m) vorbei, wo eine Biwakschachtel, das „Rifugio Caltun“, Schutz vor Wind und Wetter bietet. Kurze Zeit später standen wir auf dem ersten Höhepunkt des Tages, dem Gipfel Laitel (2390 m). Es folgten weitere Gipfel wie der Vf Laita (2397 m) und der Vf Faltinul (2399 m). Nach über acht Stunden sahen wir endlich unser Ziel: den Balea Lac (See) mit all den Touristen. Der Anblick von oben war so beeindruckend, dass wir verstanden, warum dieser Ort so viele Menschen anzieht, auch wenn wir die Stille unserer bisherigen Route genossen haben.


Samstag, 9. August 2025: Unterwegs zur Cabana Podragul
Unser Aufstieg führte uns zu einem wunderschön gelegenen See, dem „Lac Capra (2249 m)“. Dort steht ein Denkmal für fünf Bergsteiger, die bei ihrer Himalaya-Vorbereitung von einer Lawine überrascht wurden. Der wolkenlose Himmel versprach einen herrlichen Wandertag.


Die abwechslungsreiche Route mit ausgesetzten Kletterstellen bereicherte unsere Etappe zum nächsten Gipfel, dem Vf Arpasu (2468 m).

Nach einer kurzen Pause näherten wir uns unserem Tagesziel. Die Cabana Podragul liegt idyllisch in einem geschützten Talkessel. Nach einem Abstieg von 171 Höhenmetern und einer sieben stündigen Wanderung war das wohl der schönste Abschnitt der Tour.

Einige wagten sich in den eiskalten Podragu See, während ich lieber verschwitzt blieb. Rund 800 Schafe mit zehn Eseln und Hunden grasten in der Nähe. Ich fragte mich, wie die Hütte versorgt wird. Mir wurde erklärt, dass die Esel im Tal beladen werden und dann allein zur Hütte laufen, weil sie wissen, dass es dort Futter gibt.
Sonntag, 10. August 2025: Der höchste Gipfel
Ausnahmsweise bekamen wir unser Frühstück bereits um 7 Uhr. Das perfekte Wetter und die Vorfreude auf den höchsten Gipfel Rumäniens gaben uns die nötige Energie.

Obwohl wir uns auf 2136 Metern Höhe befanden, lagen noch etwa zehn Stunden Wanderung vor uns.
Vorbei an den Gipfeln Ucea Mare und Ucisoara (2418 m) ging es zur Saua Orzanelet (2305 m). Von dort stiegen wir steil zum Gipfel Vistea Mare auf, um dann in einer leichten Kletterpassage den höchsten Gipfel Rumäniens, den Moldoveanu (2544 m), zu erreichen. Wir hatten Glück: Der Gipfel war nicht überlaufen, und die atemberaubende Weitsicht entschädigte für alle Mühen.

Der Abschied fiel schwer. Wir stiegen ab zur Rifugio Portita Vistei (2305 m) und genossen die Aussicht. Nach einer wohlverdienten Pause am Pass „Fereastra Mare a Sambatei“ (2188 m) sahen wir unser letztes Quartier. Der Weg dorthin war holprig und ausgewaschen. Unser Leiter, Hans Werner, hatte mit den Hüttenwirten der dortigen Blockhütte der Bergwacht eine Ausnahme ausgehandelt, sodass wir nicht noch zwei Stunden weiterlaufen mussten. Nach zehn Stunden und 1150 Höhenmetern war dies für mich die längste und schönste Etappe.

Montag, 11. August 2025: Zurück in die Zivilisation
Nach anderthalb Stunden Marsch auf einem Forstweg erreichten wir die kleine Siedlung „Floarea Reginei“, wo wir abgeholt wurden, um nach Sibiu zurückzukehren.

Fazit:
Diese viertägige, anstrengende und beeindruckende Tour in den Fogarascher Bergen hat sich absolut gelohnt. Unsere Gruppe, in der wir uns zunächst fremd waren, wuchs zu einem harmonischen und verständnisvollen Team zusammen. Hans Werner war ein hervorragender Leiter mit dem ich mich jederzeit wieder auf eine Tour begeben würde. Die 39 Stunden Gehzeit und 5896 bewältigten Höhenmeter waren ein unvergessliches Abenteuer.
Ich war etwas enttäuscht, dass wir so wenig Wildtiere gesehen haben, aber meine Erwartungen waren vielleicht zu hoch. Die Krönung war es, den höchsten Punkt des Landes zu erklimmen. Auch die leichten Kletterpassagen haben mir großen Spaß gemacht.
Dienstag, 12. August 2025: Der letzte Tag in Sibiu
Wir genossen den letzten Tag in der belebten Altstadt. Die meisten von uns nahmen an einer zweistündigen Stadtführung teil, die uns die bewegte Geschichte Sibius näher gebracht hat. Wir sahen die orthodoxe Kathedrale, das deutschsprachige Büchercafé, den riesigen Markt und die Lügenbrücke. Bei einem gemütlichen Abendessen im Gasthaus Hoffmann ließen wir die Reise ausklingen, gesättigt von den vielen Eindrücken.

Mittwoch, 13. August 2025: Abreise
Meine Mitreisenden traten heute die Heimreise an. Ich hatte mich entschieden, nicht an einem 13. zu fliegen, und so verbrachte ich den Tag im Freilichtmuseum und im Tiergarten. Die Hitze war so groß, dass die Käfigbewohner wie Bären und Löwen nur faul herumlagen – ein Anblick, für den ich volles Verständnis hatte. Ein Bär aus der Nähe zu sehen, war faszinierend. Mit einem Glas Weißwein ließ ich den unvergesslichen Aufenthalt in Rumänien wehmütig Revue passieren.


